Blutland - Von der Leidenschaft gerufen
Wolfsjunge musste fuchsteufelswild gewesen sein.
Und da waren wir.
Es war ein Bild wie diese Pseudoporträts, auf denen Touristen sich verkleidet als Ritter oder Wildwest-Huren ablichten lassen, nur mit dem Unterschied, dass dieses Bild hier echt war. Er stand hinter mir, und seine Handschuhe rahmten meine Schultern ein. Wir sahen prächtig zusammen aus: Ich, üppig und wohlgeformt, reichlich versehen mit Blut, Schminke und Glitter, und er, schlank, elegant und hart wie Glas. Der Totenschädel des Faszinierers blitzte aus meiner aufgetürmten Haarpracht, und mein Gesicht hob sich von dem hohen, engen Ausschnitt des Kleides ab wie ein Vollmond über einer dunklen Landschaft.
»Lächerlich ist nicht das Wort, das ich verwenden würde«, meinte er.
Mit einem »Wow« drehte ich den Kopf hin und her und versuchte mich selbst davon zu überzeugen, dass das hier real war.
»Was auch immer du dort bist, wo du herkommst«, sagte er, »und was auch immer du glaubst zu sein: Hier bist du eine Lady, eine Sehende und eine Fahrende. Und echte Sehende sind selten.«
»Was ist, wenn ich jemanden berühre und etwas sehe – etwas, das ich nicht sehen will?«, fragte ich. »Etwas Schreckliches.«
»Wenn du jemandem dabei helfen kannst, etwas Schlimmes abzuwenden, so wie bei Mrs Cleavers, dann erweist du dieser Person einen lebenswichtigen Dienst«, sagte er. »Und die Leute werden dafür bezahlen. Nicht jeder hier in dieser Welt ist glücklich und sicher. In der Tat sind das nur die Wenigsten hier. Wenn du einmal gar nichts sehen kannst, oder wenn du etwas unabwendbar Schlimmes siehst, dann musst du gut lügen. Aber das wirst du alles schnell lernen. Du kannst es heute Abend an den Schaustellern ausprobieren.«
»Ich bin noch nie irgendwo aufgetreten«, wandte ich ein. »Ich bekomme immer Lampenfieber.«
Er zog eine Taschenuhr aus seiner Westentasche, sah die Uhrzeit nach, zog sie auf und sagte dann: »Es ist noch ein Tag, bis wir öffnen. Mit ein wenig Übung schaffst du das.«
»Wie sieht meine Alternative aus?«
»Deine Alternative?« Er sagte es langsam und ließ das Wort wie eine tödliche Warnung klingen.
»Ja. Falls ich nicht hier leben, einen albernen Turban aufsetzen und Handlesen will?«
»Du bist dir noch nicht sicher, Liebes?«
Er stemmte die Hände in die Hüften und betrachtete seine Stiefel. Ich suchte mir den Stuhl aus, der am robustesten aussah und setzte mich darauf. Um mich herum wirbelte eine Staubwolke auf.
»Wenn du nicht willst, was ich dir anbiete – was du bereits akzeptiert hast –, dann hast du zwei Möglichkeiten. Du kannst dich allein durchschlagen und von den Kreaturen des Waldes gefressen werden, bis nur ein überaus hübsches Skelett von dir übrig bleibt. Oder ich kann dich zur nächsten Stadt bringen und dort den Coppers übergeben, solange du noch lebst.«
»Und das ist etwas Schlechtes, stimmt’s?«
»Wie soll ich das erklären?« Er setzte sich auf die kaputte Couch und beugte sich über einen niedrigen, ovalen Tisch. Mit einer Fingerspitze zeichnete er eine Maus in den Staub. »Diese unsere Welt, sie funktioniert mit Blut. Früher einmal herrschte ein Gleichgewicht, aber nun gibt es zu viele von uns. Irgendetwas hat sich verändert, und plötzlich fielen alle Tiere übereinander her, bis jede freilaufende Kreatur Reißzähne hatte.« Er zeichnete der Maus Reißzähne, schnippte mit den Fingern, und plötzlich waren da Dutzende kleiner Kaninchen mit Reißzähnen im Staub.
Er hatte den Staub zu Wollmäusen geformt. Ich grinste. Aber er blieb ernst.
»Also nahmen die Pinkies jedes normale Tier, das sie einfangen konnten, und steckten sie alle hinter hohe Zäune, wo sie nicht verwandelt werden konnten. Die Städte wurden befestigt, mit einem wahren Irrgarten aus Mauern um ihre kostbaren Rinder, Schweine und Schafe herum. Jetzt verbringen die Stadtbewohner jede Sekunde damit, sich in Kleider zu hüllen, die um Hals und Handgelenke eng geschnürt sind, um die Bludmänner, denen sie nicht aus dem Weg gehen können, nicht zu reizen, und sie tragen hohe Stiefel, um die Bludratten zu zerschmettern, die sie doch nie wirklich ausrotten können.«
»Das klingt entsetzlich«, sagte ich.
»Zufällig stimme ich dir da zu«, sagte er mit einem schiefen Lächeln. »Aber vor ein paar hundert Jahren bestimmte eine der stärksten Städte eine Gruppierung, die das Gleichgewicht zwischen Bluttrinkern und den angeblich Unschuldigen aufrechterhalten sollte. Der Kupferorden für gesellschaftliches
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