Blutland - Von der Leidenschaft gerufen
Dann holte ich tief Luft und watete hinein. Die schweren grauen Wolken wirkten so solide wie die steinerne Mauer neben mir. Drückend legten sie sich vom Himmel aufs Meer, und ich stellte mir vor, dass es in Sang wohl möglich war, vom Rand der Welt zu fallen, so wie es die Seeleute aus alten Zeiten in meiner Welt gefürchtet hatten. Der Horizont war eine flache Linie, nur unterbrochen von zerklüfteten Inseln in weiter Ferne, ein Ziel, so unerreichbar wie die Küche meiner Großmutter.
Ich zitterte, als die ersten Wellen meine Stiefel umspülten. Das Wasser war eisig kalt, das konnte ich noch durch das Leder fühlen. Ich watete weiter hinein. Dann spürte ich die Kälte gegen meine Knie schwappen, die nur von Strümpfen bedeckt waren, und schnappte nach Luft. Das hier würde sehr viel schlimmer werden, als an einem Sommertag im Badeanzug in einen Pool zu hüpfen, egal, ob mit oder ohne Korsett. Und ich hatte vergessen, mein Korsett zu lockern.
Mist .
Aber dafür war es jetzt zu spät. Ich stand bis zur Taille im Wasser, und die Schnüre waren nass. Der Rest meines Kleides wickelte sich um mich. Ich brauchte meine Arme, um aufrecht zu bleiben und zu verhindern, dass die Strömung mich in die Wellen zog und mich mit sich riss.
Noch nie zuvor hatte ich Angst vor Wasser gehabt, aber das Meer von Sang war genauso blutdürstig wie das Land.
Und dann war ich bis zu den Schultern im Wasser und paddelte wie ein Hund, während die zerrissenen Reste meines Kleides mich nach unten in die Finsternis zogen. Die Wellen klatschten gegen meinen Körper, kalt und unpersönlich, und ich kämpfte und schlug um mich. Criminy hatte mir erzählt, dass Bludmänner sofort untergingen, aber auch ich konnte mich kaum über Wasser halten. Das Salz brannte mir in den Augen, und ich konnte es in meiner Kehle schmecken.
Ich strampelte weiter an der Mauer entlang, immer näher meinem Ziel entgegen, dem offenen Meer. Ich war noch etwa zehn Meter entfernt, dann fünf, und dann konnte ich die kleinen Krebse sehen, die sich an die bröckelnden Steine am Ende der Mauer klammerten und ihre hungrigen purpurroten Mäuler ins Wasser richteten. Diese kleinen Bastarde waren wahrscheinlich rasiermesserscharf, also paddelte ich weg von ihnen, um mir Raum zu verschaffen. Ich war fast da.
Und dann spürte ich etwas, das mir das Blut in den Adern gefrieren ließ.
Gerade, als ich die Mauer in so etwa drei Metern Entfernung umrundete, stieß etwas gegen mein Bein. Etwas, das groß, glatt und hart war und gerade so an mir entlangstreifte. Es fühlte sich unpersönlich an, wie jemand in der Menge, der einen an der Schulter rempelt.
Aber es war kalt.
Mein erster Gedanke war: ein Hai , mein zweiter: ein Seeungeheuer .
Und dann klinkte sich mein Urmenschenhirn ein, und mein dritter Gedanke war: schwimm, renn, Flucht, tritt, schwimm schneller, los, los, los!
Also machte ich genau das. Ich fing an, wie ein Frosch loszutreten und Wucht in die scharfen Absätze meiner Stiefel zu legen. Ich arbeitete mich mit den Armen durchs Wasser wie ein Brustschwimmer, und endlich war auch die Strömung auf meiner Seite. Ich umrundete die Mauer, und die Wellen begannen, mich aufs Land zuzutreiben.
Da fühlte ich es wieder, das Rempeln.
Beharrlicher diesmal. Gegen meinen Oberschenkel.
Unwillkürlich schaute ich nach unten. Das Wasser war zu dunkel und aufgewühlt, um etwas sehen zu können, noch nicht mal mich selbst. Ich trat fester zu, panisch, mit aller Kraft, die ich noch hatte. Inzwischen waren meine Füße taub, und meine Beine brannten. Ich konzentrierte mich auf die Küste, die noch knappe hundert Meter entfernt war. Es fühlte sich an wie eine Ewigkeit. Unmöglich. Aber dann dachte ich an Nana, die jeden Tag darum kämpfte, am Leben zu bleiben, und mir wurde klar, dass ich alles geben musste. Ich holte tief Luft, fest entschlossen, das Land zu erreichen.
Da fühlte ich Zähne um meine Wade, beinahe sanft. Neckend. Wie ein Hund, der einen Stock ausprobierte, um zu sehen ob er brach oder ein wenig raues Spielen aushalten würde.
Ich schnappte nach Luft und schluckte eine Hand voll Wasser. Mit dem anderen Fuß trat ich genau da hin, wo ich die Zähne spürte, und mein Absatz traf auf etwas, das dicker war als ein Fisch. Etwas Gummiartiges.
HAI! schrie mein Verstand. LOS, SCHWIMM!
Ich trat noch einmal zu, und die Zähne bebten ein wenig und ließen dann los, und ich mühte mich auf die Küste zu, mit viel Treten, Um-mich-Schlagen und reiner Willenskraft.
Etwas
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