Blutlinie
einen liebte und begehrte, was konnte es Schöneres geben? Es klang fast wie im Märchen.
Aber was hatte sie gemeint, als sie von Brandon sprach? Hatte er mit ihr über mich gesprochen? Es war bereits kurz nach Mittag und ich hatte ihn heute noch nicht gesehen. Spätestens auf der Party würde ich ihm sicher begegnen und wusste nicht, wie ich mich ihm gegenübertreten sollte. Mein Verhalten kam mir kindisch vor, nachdem ich eine Nacht darüber geschlafen hatte. Doch was mich immer noch störte, waren seine Gefühlsschwankungen, ein ständiges Auf und Ab. Mal war er zuckersüß und dann wieder unnahbar, fast abweisend. Und so ungern ich es zugab, machte ihn das noch anziehender für mich.
Ich seufzte und fing an, zu lesen.
Die Chroniken des Ordens brachten mir ganz neue Sichtweisen über die Entstehung des Vampirismus. Um 1700 wurde der Orden gegründet, um den Vampiren einen Anlaufpunkt zu schaffen, an dem sie sich vereinen und nach gewissen Regeln leben konnten. Offenbar gab es in jedem Land einen, und man legte Wert auf eine intensive Zusammenarbeit. Die Ratsmitglieder wurden nach ihren Verdiensten ausgewählt, und solange sie nicht in Kämpfen fielen, blieben sie die Obermacht. Starben sie und besaßen männliche Nachfahren, so ging der Platz automatisch an den ältesten oder einzigen Sohn des Ratsmitgliedes. Ich erfuhr, dass Rafael schon 98 Jahre im Gremium saß. Interessiert las ich die Ausführungen, wie die Vampire entstanden waren.
Um 1672 soll ein Mann aus seinem Grab entstiegen sein und sein Dorf terrorisiert haben. Wodurch er zu einem Untoten wurde, fand keine Erwähnung, aber er war der erste, der nach Blut verlangte, jedoch trank er nicht von menschlichen Körpern, sondern ließ es sich in einem Becher bringen. Die Dorfbewohner sahen ihn ihm ein Zeichen und hatten Angst, Gottes Zorn auf sich zu ziehen, wenn sie es nicht taten, also gaben sie ihm den benötigten Lebenssaft. Zeitgleich kam es zu einem ähnlichen Vorfall, ungefähr einhundert Kilometer entfernt davon. Ein Mann, der eigentlich schon in der tiefen Erde seine letzte Ruhestätte gefunden hatte, war plötzlich mehr als lebendig und griff sich einen Menschen, um ihm das Blut auszusaugen. Danach brach er ihm das Genick und ließ die Leiche einfach liegen. So also waren die Dunklen entstanden, von denen es reichliche mit Kohlestift gezeichnete Bilder in dem Buch gab. Monster mit langen Krallen, spitze, vom Blut tropfenden Zähnen und mit schrecklich verzerrten Gesichtern.
Doch inwieweit hingen diese beiden Vorfälle zusammen? Die nächste Seite gab Aufschluss darüber.
Hallun und Frederick waren Brüder gewesen. Frederick wurde von einer Frau, genannt die Dorfhexe, verflucht, weil er ihre Tochter vergewaltigt und getötet hatte. Sie mischte daraufhin einen Trank, wandte einen Zauber an und er wurde begraben.
Hallun hatte nichts Falsches getan, er hatte nur Pech, dass er zu Fredericks Familie gehörte, und somit wandelte sie die Strafe ab, dass er wenigstens als guter Untoter umherstreifte. Die Dorfhexe hatte nicht geahnt, wie gefährlich ihr Fluch war, und dass Frederick so mächtig wurde. Sie glaubte, dass er nur als Leiche, ruhelos und unglücklich umherwandelte. Auch sie tötete er später.
Hallun wurde der König der reinen Vampire. Er scharrte mit seinen Bissen eine neue Generation um sich und legte somit den Grundstein für den Vampirorden, der 30 Jahre später gegründet wurde. Und genauso hielt es Frederick, der Dunkle , der seine Macht immer mehr mit neu verwandelten Menschen vergrößerte. Schon damals muss es unsagbar blutige Kämpfe unter ihnen gegeben haben. Die Bilder schockierten mich, auf denen die Leichen auf dem Schlachtfeld lagen, umgeben von Unmengen von Blut.
Ich schlug eine andere Seite auf. Mein Herz raste, als ich die Überschrift auf der nächsten Seite las. ‚Vampirkönigin des neuen Reiches’ lautete sie. Darunter erblickte ich die Zeichnung einer schönen Frau mit langen Locken, die würdevoll auf einem Thron saß. Der Name darunter nahm mir den Atem. Lana. Es war das Bild meiner Mutter. Ich staunte, wie ähnlich ihr sah. Die gleichen großen Augen und dieselben geschwungenen Brauen darüber. Ihre Nase war etwas kleiner als meine und sie war viel größer und sehr schlank. Ich sog ihr Gesicht, ihre Gestalt in mir auf, bevor ich las, was über sie geschrieben stand.
Lana war eine edle Kriegerin gewesen, die unzählige Schlachten geschlagen hatte und über 150 Jahre herrschte. Dann verliebte sie sich in einen
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