Blutlinien - Koeln Krimi
das andere Projektil haben wir noch nicht gefunden«, sagte Tom Lechner näselnd, er hatte offenbar die erste Erkältung in diesem Herbst. »Eine Hundestaffel durchkämmt das Gebiet bei Stammheim, wir haben Reifenspuren gesichert, nur leider sind Zeugen bisher Fehlanzeige. Vielleicht meldet sich ja die Frau, die vor dem Kerl aus dem Auto geflohen ist. Die Betroffenheit in den Medien ist jedenfalls groß, und auch die Kölner nehmen rege Anteil. Im Minutentakt erreichen uns Hinweise und Genesungswünsche.«
Das überraschte Maline nicht. Vor einigen Jahren hatte ein Serientäter die Kölner in Atem gehalten, der Fall hatte weit über die Grenzen Kölns hinaus Schlagzeilen gemacht. Lou war als eine der ermittelnden Beamtinnen bundesweit bekannt geworden. Auch im Mordfall eines Professors und dem damit verbundenen Skandal um ein ehemaliges Kinderheim hatte sie sich einen Namen gemacht.
Tom wurde ans Telefon gerufen, und Maline sah Ben über den Flur eilen.
»Gut, dass du wieder da bist! Wir haben eine Menge zu erledigen, also los …«
Wahrscheinlich war es der Tonfall, der Maline störte, dieses lapidare »Dann mal fleißig weiter«.
Lou lag im Krankenhaus, angeschossen von einem feigen Unbekannten. Täglich hielten sie alle ihre Köpfe hin, setzten sich für Recht und Ordnung ein und mussten sich dafür bespucken und bedrohen lassen. Von einer Sekunde auf die andere konnte jeder Kollege in eine lebensbedrohliche Situation geraten und dabei sterben. Jedes Jahr las Maline Nachrufe, die ihr Herz rührten. Natürlich war sie sich der Gefahr bewusst. Immer. Aber es gab Tage, da stellte sich ihr die Sinnfrage, und dabei ging es nicht einmal um den Aspekt der angemessenen Vergütung.
»Klar, Ben!«, brach es aus ihr hervor. »Immer schön weiter, im Gleichschritt marsch. Ärmel hochkrempeln und vorwärts, egal ob deine Kollegin im Sterben liegt oder heute noch zwei Beamte erschossen werden!«
Ben zuckte zurück, wollte etwas erwidern, aber Maline ließ ihn nicht zu Wort kommen. »Und weißt du was? Mir ist es scheißegal, wie viele Fälle sich auf meinem Schreibtisch stapeln. Ich bin es leid, die verdammte Behördenpolitik mitzutragen, mir den Arsch aufzureißen jeden Tag, Woche für Woche! WIR SIND MENSCHEN MIT GEFÜHLEN ! Keine Roboter! Wir befinden uns nicht in einem Computerspiel, in dem sich die Heldin den Staub abklopft und weiterrennt. Ich habe keinen Bock mehr auf den Scheiß. Stellt mehr Leute ein, wenn nicht mal die Zeit ist, Überstunden abzufeiern oder in der Sorge um eine Kollegin innezuhalten. Was bist du nur für ein …«
»Das habe ich doch gar nicht gemeint«, fiel Ben ihr ins Wort. »Meinst du etwa, Lous Zustand berührt mich nicht? Glaubst du wirklich, dass einem Menschen in dieser Behörde ihre Lage egal ist? Ich habe lediglich gemeint, dass dich die Ermittlungsarbeit ein wenig ablenken könnte. Aber wenn du der Sache nicht gewachsen bist, dann geh nach Hause, verkriech dich oder setz dich an Lous Bett …«
»Du kannst mich mal, Ben Stollberg!«, schrie Maline, lief über den Flur zum Fahrstuhl, rannte unten am Pförtner vorbei, raus auf den Walter-Pauli-Ring.
Irgendjemand rief ihren Namen, aber sie drehte sich nicht um, überquerte die Straße bei Rot und jagte in Richtung LANXESS -Arena.
Sie spürte leichten Nieselregen auf dem Gesicht, beschleunigte das Tempo und jagte ihren Puls hoch, rannte an der Kölnarena vorbei, querte den Gotenring und lief durch die Adolphstraße Richtung Rhein. Sie dachte an ihren Vater. Von dem Tag an, als ihre Mutter an Krebs gestorben war, war es auch mit ihm bergab gegangen. Nicht auszudenken, wenn ihr etwas passieren würde.
An der Rheinpromenade verfiel sie in leichten Trab, atmete tief durch und spürte, wie sie sich beruhigte. Es gelang ihr, die Fakten in den Fokus zu nehmen. Lou war angeschossen, aber nicht tot. Die Ärzte hatten Entwarnung gegeben. Also beruhig dich, das Ganze sieht schlimmer aus, als es tatsächlich ist, sagte sie sich. Lou ist zäh, sie wird es schaffen.
An der Severinsbrücke drehte sie um, machte sich auf den Weg zum Präsidium und fühlte sich besser.
Als sie im KK 11 ankam, ging sie in den Toilettenraum, wusch sich das Gesicht. Anschließend klopfte sie an Bens Bürotür.
»Ich bin zurück. Sorry, ich glaube, ich habe eben ein wenig überreagiert.«
»Schwamm drüber. Jeder muss mal Dampf ablassen.« Ben lächelte. »Bist du wieder einsatzfähig?«
»Klar.«
»Okay. Auf der Lebensmitteltüte, die in der Nähe der Leiche in
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