Blutlinien - Koeln Krimi
die fetten Gänse fortgeflogen, die wochenlang im Rheinpark campiert haben. Die Stimme meiner Tante dringt zu mir durch. Gänse riechen die Kälte und flüchten.
Fröstelnd drehe ich die Heizung hoch. Achtzehn Quadratmeter sind schnell warm. Ich bin unruhig und aufgewühlt. Diese blöde Uhr. Auch diese Sache vor ein paar Stunden lief völlig planlos. Der Druck in meiner Brust schwillt bedenklich an. Ich rauche gegen die Enge in meinem Körper.
Diese Wohnung ist klein und aus meiner Sicht für die Größe zu kostenintensiv. Mein Umfeld belächelt diese Einschätzung, hier ist man horrende Mieten gewöhnt. Aber mir erscheint Köln absurd überteuert. Schön ist die Stadt auch nicht.
Vielleicht passe ich einfach nicht hierher, das ganze Viertel ist nicht nach meinem Geschmack. Zu offensichtlich die Sympathien für die, die ich verachte. Meine Tante hat gern gepredigt, dass in Köln schon immer ein freisinniger Geist lebte, der sogar in der Historie verbrieft sei. In meinen Augen ist das Blödsinn.
Mutige Menschen haben sich zu allen Zeiten gegen den Strom gestellt, gegen Unsittlichkeit und den Verfall der Werte gekämpft, sind gegen die schleichende Akzeptanz des Verwerflichen marschiert.
In Archiven und Schriften fand ich Balsam für meine angeekelte Seele. »… Trug er bisher seine widernatürliche Lust nur scheu in seinem Herzen … so ist derselbe jetzt in seiner Organisation bereits kühn aus seiner Reserve hervorgetreten, um sich zu bestimmen und der Gleichberechtigung seines dunklen Treibens mit einer Offenheit das Wort zu reden, als wenn es sich für das Vorkämpfertum für sittliche und ideale Hebung unseres Volkslebens handelte …«
Dieser Verfasser spricht mir aus dem Herzen, auch wenn die Zeilen hundert Jahre alt sind, aus solchen Dingen ziehe ich Kraft.
Aber ich muss vorsichtig sein. In Köln hat der Spruch »Leben und leben lassen« Gewicht. Das ist auch ein Grund, warum sich hier vieles rasant ausbreitet und heimisch fühlt. Die Stadt steht jedem offen. Hier werden alle beklatscht, haben Lobby, Sympathisanten, Fürsprecher.
Es ist ein Fass ohne Boden.
Ich war achtzehn, als ich meiner Tante endgültig den Rücken kehrte und ins Ruhrgebiet zog. Schon zu dieser Zeit hatte ich Bettgeschichten, jede Woche eine andere Frau. In dieser Beziehung kam ich nach meinem Vater, der zum Ärger meiner Mutter ständig Affären hatte. Ich verdrängte meine Tante und ihresgleichen, von gelegentlichen Besuchen einmal abgesehen. Klug war sie nicht, ansonsten hätte sie ihren Mund gehalten und ihre Unterstellungen besser heruntergeschluckt.
Vor einigen Monaten konnte ich ihre Anspielungen nicht länger ignorieren.
Du bist so wütend, weil du aus dem gleichen Holz geschnitzt bist wie ich, und wenn du deine Neigung noch so zu kaschieren versuchst. Deine Frauengeschichten verändern nichts, erkennst du das nicht? Sie hat selbst Schuld. Ich musste ihr Maul für immer stopfen.
Beklemmung greift nach mir. Ich stürme ins Bad, reiße mir die Kleider vom Leib und springe erneut unter die Dusche. Eiskaltes Wasser perlt über meinen Körper. Nackt laufe ich durch die Wohnung, trinke becherweise schwarzen Filterkaffee und lege mich vor den Fernseher, komme kurzzeitig zur Ruhe. Die alberne amerikanische Serie nervt schnell. Unruhe holt mich wieder ein, packt mich und scheucht mich schließlich auf die Straße.
Unkraut jäten wird mir guttun. Das ist mein Synonym für eine ganz besondere Arbeit, der ich regelmäßig nachgehe. Dazu muss ich zur Hohenzollernbrücke.
In meinem Rucksack trage ich einen Bolzenschneider. Gezielt entferne ich Schlösser mit gleichgeschlechtlichen Namen vom Gitter der Brücke, nach denen ich selten lange suchen muss. Hilfreich sind meine Skizzen, zudem besitze ich ein fotografisches Gedächtnis. Mein Gehirn ist in der Lage, Details abzuspeichern, die andere Menschen gar nicht wahrnehmen. Eine nützliche Gabe. Ein Blick auf meinen Block genügt, und ich weiß, wo ich die Schlösser finde, die ich entfernen muss.
Zügig nähere ich mich auf meinem Rad der Innenstadt. Wirklich in Laune bin ich nicht für die lästige Arbeit. Sie ist zu vergleichen mit der Ablage eines Beamten. Ständig muss er einen Blick darauf haben, sonst türmen sich Aktenberge. In letzter Zeit war ich nachlässig, habe die Dinge schleifen lassen, und mittlerweile schießt das Unkraut sozusagen aus dem Boden.
Ich schiebe das Rad am Aufgang Musical Dome die schmale Fahrrille hinauf und bummle auf dieser weniger frequentierten
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