Blutmale
Lamm zu zersäbeln, dass er nicht einmal aufblickte, aber Mikey begriff ganz offensichtlich, dass heute Abend der Haussegen ernsthaft schief hing. Sie sah ihren Vater an, der sich gerade den Rest aus der Chiantiflasche ins Glas goss.
»Dad? Willst du mir vielleicht verraten, was das alles soll?«
Sein Vater trank einen großen Schluck Wein. »Nein.«
»Sie ist wirklich fix und fertig.«
»Und das ist eine Sache zwischen ihr und mir, okay?« Er stand auf und gab Frankie einen Klaps auf die Schulter.
»Komm, ich glaube, wir kriegen noch den Rest vom dritten Viertel mit.«
»Das war das verkorksteste Weihnachten, das wir je hat ten«, sagte Jane, als sie nach Hause fuhren. Regina war in ihrem Baby sitz eingeschlafen, und zum ersten Mal konnten Jane und Gabriel sich ungestört unterhalten. »Normalerweise ist es nicht so schlimm. Ich meine, wir haben unsere Streitereien wie alle Familien, aber am Ende schafft meine Mut ter es meistens, dass wir uns wieder zusammenraufen.« Sie schielte nach ihrem Mann, dessen Miene sie im dunklen Wageninnern nicht erkennen konnte. »Es tut mir leid.«
»Weswegen?«
»Du konntest ja nicht ahnen, dass du in ein Irrenhaus einheiratest. Jetzt fragst du dich wahrscheinlich, was du dir da eingebrockt hast.«
»Genau. Ich denke, es wird allmählich Zeit, dass ich die Frau umtausche.«
»Gib's zu, ein bisschen denkst du das wirklich.«
»Jane, sei doch nicht albern!«
»Mein Gott, es gibt Tage, da würde ich selbst am liebsten vor meiner Familie davonlaufen.«
»Aber ich will ganz bestimmt nicht vor dir davonlaufen.« Er blickte wieder nach vorn auf die Straße, wo die vom Wind umhergewirbelten Schneeflocken im Scheinwerferlicht tanzten. Sie schwiegen beide eine Weile. Dann sagte er: »Weißt du, ich habe meine Eltern nie streiten hören. Nicht ein einziges Mal in meiner ganzen Kindheit.«
»Ja, reib's mir nur unter die Nase. Ich weiß, dass meine Familie ein Haufen von Radaumachern ist.«
»Du kommst aus einer Familie, in der man seinen Gefühlen freien Lauf lässt, das ist alles. Da werden Türen geknallt, man brüllt sich an und lacht aus vollem Hals.«
»Oje, das wird ja immer besser.«
»Ich wünschte, ich wäre in so einer Familie aufgewachsen.«
»Na klar.« Sie lachte.
»Meine Eltern haben sich nicht angebrüllt, Jane, und sie haben keine Türen geknallt. Sie haben auch nicht viel gelacht. Nein, Colonel Deans Familie war viel zu diszipliniert, als dass sie sich je zu so etwas Gewöhnlichem wie Gefühlsäußerungen herabgelassen hätte. Ich kann mich nicht erinnern, aus seinem Mund jemals die Worte ›Ich liebe dich‹ gehört zu haben - weder zu mir noch zu meiner Mutter. Ich musste erst lernen, sie zu sagen. Und ich lerne immer noch.« Er sah sie an. »Du hast es mich gelehrt.«
Sie legte die Hand auf seinen Oberschenkel. Ihr unterkühlter, unzugänglicher Gabriel. Es gab immer noch das eine oder andere, was er lernen musste.
»Also entschuldige dich nie für sie«, sagte er. »Sie sind es, die dich zu dem gemacht haben, was du bist.«
»Das bezweifle ich manchmal sehr. Ich sehe mir Frankie an und denke, lieber Gott, bitte mach, dass ich das Baby bin, das sie auf der Schwelle gefunden haben.«
Er lachte. »Die Luft war wirklich zum Schneiden heute Abend. Was war denn nun eigentlich los?«
»Ich weiß es nicht.« Sie ließ sich in den Sitz zurücksinken. »Aber wir werden es noch früh genug erfahren.«
6
Jane streifte sich Papierüberzieher über die Schuhe, schlüpfte in einen OP-Kittel und verknotete die Schnüre im Rücken. Sie spähte durch die Trennscheibe in den Sektionssaal und dachte: Ich habe nicht die geringste Lust, da reinzugehen. Aber Frost war schon drin, in Kittel und Maske, und sie konnte gerade genug von seinem Gesicht erkennen, um zu sehen, dass auch er sich nicht sehr wohl in seiner Haut fühlte. Mauras Assistent Yoshima nahm Röntgenaufnahmen aus einem Umschlag und befestigte sie am Leuchtkasten. Mauras Rücken verdeckte Jane die Sicht auf den Sektionstisch, verhüllte den Anblick, den sie sich am liebsten ganz erspart hätte. Erst vor einer Stunde hatte sie an ihrem Küchentisch gesessen, eine zufriedene Regina auf ihrem Schoß, während Gabriel das Frühstück gemacht hatte. Jetzt lag ihr das Rührei schwer im Magen, und am liebsten hätte sie sich den Kittel vom Leib gerissen und wäre hinausgerannt in den kühlen, reinigenden Schnee.
Stattdessen stieß sie die Tür auf und betrat den Sektionssaal.
Maura blickte sich kurz um, und ihre
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