Blutmale
»Kannst du ihn bitte so festhalten?«
Jane warf einen flüchtigen Blick auf das durchtrennte Gewebe, die offene Luftröhre, und wandte sich abrupt ab.
Während Jane den Kopf festhielt, ohne hinzusehen, beugte sich Maura erneut über den Tisch und sah durch die Lupe, um die Schnittfläche in Augenschein zu nehmen. »Ich erkenne eine Furchung auf dem Schildknorpel. Die Klinge war vermutlich gezahnt. Machen Sie mal ein paar Bilder davon.«
Wieder hörten sie das Klacken des Verschlusses, als Yoshima sich vorbeugte, um die Stelle zu fotografieren. Meine Hände werden auf diesen Fotos zu sehen sein , dachte Jane. Eine Mo mentaufnahme für die Akten. Ihr Kopf, meine Hände.
»Sie sagten … Sie sagten, an den Wänden seien arterielle Spritzer zu sehen gewesen«, sagte Frost.
Maura nickte. »Im Schlafzimmer.«
»Sie hat noch gelebt.«
»Ja.«
»Und es hat nur Sekunden gedauert, sie zu … enthaupten?«
»Mit einer scharfen Klinge und etwas Geschick könnte der Täter es durchaus in dieser Zeit geschafft haben. Nur die Wirbelsäule hat ihn vielleicht ein wenig aufgehalten.«
»Dann hat sie es gewusst, oder? Sie muss es gespürt haben.«
»Das glaube ich kaum.«
»Wenn einem jemand den Kopf abschneidet, ist man wenigstens noch für einige Sekunden bei Bewusstsein. Das habe ich im Radio gehört. Da wurde ein Arzt interviewt, und der hat erzählt, wie es ist, wenn man guillotiniert wird. Er sagte, man ist wahrscheinlich noch bei Bewusstsein, wenn der Kopf in den Eimer fällt. Man kriegt es angeblich voll mit, wie man da reinfällt.«
»Das mag vielleicht sein, aber …«
»Dieser Arzt hat gesagt, Maria Stuart hätte noch versucht, etwas zu sagen, nachdem sie ihr den Kopf schon abgeschla gen hatten. Ihre Lippen hätten sich noch eine ganze Weile bewegt.«
»Mein Gott, Frost«, schimpfte Jane. »Ich finde das hier schon gruselig genug, auch ohne deine Kommentare.«
»Es ist doch möglich, oder nicht? Dass diese Frau noch gespürt hat, wie ihr der Kopf abgeschnitten wurde?«
»Das ist höchst unwahrscheinlich«, antwortete Maura. »Und das sage ich nicht nur, um Sie zu beruhigen.« Sie drehte den Kopf der Leiche auf die Seite. »Tasten Sie mal den Schädel ab. Genau hier.«
Frost starrte sie voller Entsetzen an. »Nein, ist schon okay. Das ist wirklich nicht nötig.«
»Kommen Sie schon. Ziehen Sie einen Handschuh an, und fahren Sie mit den Fingern über das Schläfenbein. Da ist eine Verletzung der Kopfhaut. Ich habe sie erst gesehen, nachdem wir das Blut abgewaschen hatten. Tasten Sie den Schädel an dieser Stelle ab, und sagen Sie mir, was Sie fühlen.«
Es war deutlich zu sehen, wie sehr es Frost widerstrebte, doch er überwand sich und zog einen Handschuh an, um dann vorsichtig die Finger an den Schädel der Toten zu legen. »Da ist eine … eine Delle im Knochen.«
»Eine Impressionsfraktur des Schädels. Man kann sie auf der Röntgenaufnahme erkennen.« Maura ging hinüber zum Leuchtkasten und zeigte auf das Schädelbild. »In der Seitenansicht kann man die Bruchlinien erkennen, die von diesem Auftreffpunkt in alle Richtungen ausstrahlen, wie ein Spinnennetz, das sich über das ganze Schläfenbein zieht. So wird diese Art von Fraktur auch genannt - man spricht von einem Mosaik- oder Spinnennetzmuster. Diese Fraktur befindet sich an einer besonders kritischen Stelle, denn direkt darunter verläuft die mittlere Hirnhautarterie. Wenn diese verletzt wird, kommt es zu einer Blutung in die Schädelhöhle. Wenn wir den Schädel eröffnen, werden wir sehen, dass genau das passiert ist.« Sie sah Frost an. »Sie hat einen schweren Schlag auf den Kopf bekommen. Ich bin sicher, dass das Opfer schon bewusstlos war, als der Täter mit dem Zerstückeln anfing.«
»Aber noch am Leben.«
»Ja. Sie war mit Sicherheit noch am Leben.«
»Sie wissen nicht, ob sie wirklich bewusstlos war.«
»An Händen und Armen sind keine Abwehrverletzungen zu erkennen. Keine sichtbaren Anzeichen dafür, dass sie sich gewehrt hat. Niemand lässt sich einfach so die Kehle durchschneiden, ohne Widerstand zu leisten. Ich glaube, dass sie durch diesen Schlag betäubt war. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie das Messer gespürt hat.« Maura hielt inne und fügte leise hinzu: »Das hoffe ich jedenfalls.« Sie trat an die rechte Seite des Leichnams, ergriff den abgeschnittenen Unterarm und hielt das Ende mit der offenen Wunde unter die Lupe. »Hier haben wir noch weitere Instrumentenspuren auf der Knorpelfläche, wo er das
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