Blutmale
Ellbogengelenk durchtrennt hat«, sagte sie. »Sieht aus, als sei hier die gleiche Klinge benutzt worden. Sehr scharf, gezahnte Schneide.« Sie hielt den Unterarm an den Ellbogen, als ob sie eine Schaufensterpuppe zusammensetzen wollte, und begutachtete die Schnittstelle. Ihre Miene verriet kein Entsetzen, nur tiefe Konzentration. Es hätte auch ein Kugellager oder irgendeine technische Vorrichtung sein können, die sie da inspizierte, nicht eine zerstückelte Leiche. Nicht der abgetrennte Unterarm einer Frau, die diesen Arm noch vor Kurzem gehoben hatte, um sich die Haare zu kämmen, um jemandem zuzuwinken, oder vielleicht beim Tanzen. Wie machte Maura das? Wie konnte sie Morgen für Morgen dieses Gebäude betreten, obwohl sie wusste, was sie hier erwartete? Tag für Tag zum Skalpell greifen und die Tragödie eines weiteren brutal ausgelöschten Le bens sezieren? Auch ich beschäftige mich mit solchen Tra gödien , dachte Jane. Aber ich muss wenigstens keine Schädel aufsägen oder mit den Händen in offenen Brusthöhlen wüh len.
Maura ging um den Tisch herum zur linken Seite des Torsos. Ohne Zaudern griff sie nach der abgeschnittenen Hand. Gekühlt und blutleer, wie sie nun war, sah sie eher aus wie ein Wachsmodell - so, wie ein Filmrequisiteur sich eine echte Totenhand vorstellen mochte. Maura schwenkte die Lupe darüber und inspizierte die offene Schnittfläche. Eine Weile sprach sie kein Wort, doch Jane fiel auf, wie sie die Stirn in Falten zog.
Maura legte die Hand ab und hob den linken Arm der Toten an, um den Handgelenkstumpf in Augenschein zu nehmen. Die Falten auf ihrer Stirn wurden tiefer. Wieder nahm sie die Hand und hielt die beiden Wunden aneinander, versuchte die Schnittflächen ineinander zu passen, Hand an Hand gelenk, wächserne Haut an wächserne Haut.
Abrupt legte sie die Körperteile zurück auf den Tisch und sah Yoshima an. »Würden Sie bitte mal die Aufnahmen von Hand und Handgelenk aufhängen?«
»Sind Sie mit den Schädelaufnahmen schon fertig?«
»Auf die komme ich später noch mal zurück. Aber jetzt möchte ich erst einmal die linke Hand und das linke Handgelenk sehen.«
Yoshima nahm den ersten Satz Röntgenaufnahmen ab und hängte eine Reihe neuer Filme auf. Die Hand- und Fingerknochen schimmerten weiß im Gegenlicht des Leuchtkastens, die schlanken Säulen der Fingerglieder wie Bambus stängel. Maura streifte ihre Handschuhe ab und trat vor den Leuchtkasten, den Blick auf die Bilder geheftet. Sie sagte nichts, und es war ihr Schweigen, das Jane verriet, dass hier et was ganz und gar nicht stimmte.
Maura wandte sich um und sah sie an. »Habt ihr das ganze Haus des Opfers durchsucht?«
»Ja, natürlich.«
»Das ganze Haus? Jeden Wandschrank, jede Schublade?«
»Da war nicht viel. Sie war erst vor ein paar Monaten dort eingezogen.«
»Und was ist mit dem Kühlschrank? Der Gefriertruhe?«
»Hat die Spurensicherung alles durchsucht. Warum?«
»Komm mal her und sieh dir diese Röntgenaufnahme an.«
Jane zog ihre beschmutzten Handschuhe aus und ging zum Leuchtkasten, um die Bilder zu betrachten. Doch sie konnte nichts erkennen, was Mauras auffallend erregten Tonfall gerechtfertigt hätte - nichts, was nicht zu dem gepasst hätte, was sie dort auf dem Tisch liegen sah. »Worauf soll ich denn achten?«
»Siehst du diese Abbildung der Hand? Diese kleinen Knochen hier sind die Handwurzelknochen. Sie bilden die Basis der Hand, von der weiter oben die Fingerknochen abzweigen.« Maura nahm Janes Hand, um ihr das Gesagte zu demonstrieren. Sie drehte sie mit der Handfläche nach oben, sodass die Narbe zu sehen war, die Jane immer daran erinnern würde, was ein anderer Mörder ihr angetan hatte. Eine unauslöschliche Spur der Gewalt, die Warren Hoyt in ihr Fleisch eingeritzt hatte. Aber Maura verlor kein Wort über die Narbe; stattdessen deutete sie auf den Handballen, das weiche Gewebe nahe dem Handgelenk.
»Die Handwurzelknochen befinden sich hier. Auf dem Rönt genbild sehen sie aus wie acht kleine Steinchen. Es sind nur einige kleine Knochenstücke, zusammengehalten von Seh nen, Muskeln und Bindegewebe. Sie verleihen unseren Händen ihre Beweglichkeit und machen es erst möglich, dass wir damit so erstaunliche Dinge tun können wie etwa Malen oder Klavier spielen.«
»Okay. Und weiter?«
»Dieser hier, in der ersten Reihe« - Maura deutete auf einen Knochen, der auf dem Röntgenbild direkt unter dem Handgelenk zu sehen war -, »wird Kahnbein genannt. Gleich darunter erkennst du
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