Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Blutmale

Blutmale

Titel: Blutmale Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
Vom Netzwerk:
einen Gelenkspalt, und dann ist da auf dieser Aufnahme noch ganz deutlich ein Splitter eines anderen Knochens zu erkennen. Es handelt sich um einen Teil des so genannten Griffelfortsatzes. Als der Täter diese Hand abtrennte, erwischte er auch ein kleines Stück des Armknochens.«
    »Mir ist immer noch nicht klar, wieso das von Bedeutung ist.«
    »Dann schau dir mal die Röntgenaufnahme des Arm stumpfs an.« Maura wies auf einen anderen Film. »Du siehst hier das distale Ende der beiden Unterarmknochen. Der dünnere Knochen ist die Elle, der dickere, auf der Daumenseite, die Speiche. Und hier ist dieser Griffelfortsatz, von dem ich eben sprach. Siehst du jetzt, worauf ich hinauswill?«
    Jane runzelte die Stirn. »Er ist intakt. Auf dieser Röntgenaufnahme des Arms ist der ganze Knochen zu sehen.«
    »Stimmt. Er ist nicht nur intakt, es hängt sogar noch ein Stück des nächsten Knochens daran. Ein Splitter des Kahnbeins.«
    In der gekühlten Luft des Sektionssaals fühlte sich Janes Ge sicht plötzlich taub an. »O Mann«, sagte sie leise. »Ich ahne Übles.«
    »Es ist tatsächlich übel.«
    Jane wandte sich ab und ging zum Tisch zurück. Dort starrte sie auf die abgetrennte Hand. Sie lag direkt neben dem Arm, zu dem sie gehörte - das jedenfalls hatte sie, wie alle anderen auch, bis jetzt geglaubt.
    »Die Schnittflächen passen nicht zusammen«, sagte Maura. »Und die Röntgenbilder auch nicht.«
    »Wollen Sie uns damit sagen, dass das gar nicht ihre Hand ist?«, fragte Frost.
    »Wir werden eine DNA-Analyse durchführen müssen, um es zu bestätigen. Aber ich glaube, wir haben den Beweis vor uns, hier am Leuchtkasten.« Sie drehte sich um und sah Jane an. »Es gibt noch eine zweite Leiche, die ihr bisher nicht gefunden habt. Und wir haben ihre linke Hand.«

7
    Mittwoch, 15. Juli. Mondphase: Neumond.
    Dies sind die Rituale der Familie Saul.
    Um ein Uhr mittags kommt Onkel Peter aus der Klinik zurück, wo er halbtags arbeitet. Er zieht sich um und geht in Jeans und T-Shirt in seinen Gemüsegarten, wo das Draht spalier sich unter einem Dschungel von Tomatenpflanzen und Gurkenranken biegt.
    Um zwei kommt der kleine Teddy mit seiner Angel vom See herauf. Aber ohne Fang. Ich habe noch nicht erlebt, dass er auch nur einen einzigen Fisch gefangen hätte.
    Um Viertel nach zwei schlurfen die zwei Freundinnen von Lily mit Badeanzügen und Handtüchern unterm Arm den Berg hinauf. Die Größere - ich glaube, sie heißt Sally - hat auch ein Kofferradio dabei. Die merkwürdige, stamp fende Musik, die aus dem Ding dröhnt, stört die Stille des Nachmittags. Die Mädchen breiten ihre Handtücher auf dem Rasen aus und aalen sich wie träge Katzen in der Sonne. Ihre Haut glänzt vor Sonnencreme. Lily setzt sich auf und greift nach ihrem Wasser. Als sie die Flasche an die Lippen hebt, hält sie plötzlich inne, den Blick auf mein Fenster gerichtet. Sie sieht, dass ich sie beobachte.
    Es ist nicht das erste Mal.
    Langsam setzt sie die Wasserflasche ab und sagt etwas zu ihren beiden Freundinnen. Jetzt richten die anderen Mäd chen sich auch auf und schauen in meine Richtung. Einen Moment lang starren sie mich an, so wie ich sie anstarre. Sarah schaltet ihr Radio aus. Dann stehen sie alle drei auf, schütteln ihre Handtücher aus und kommen ins Haus.
    Einen Augenblick später klopft Lily an meine Tür. Sie war tet nicht auf eine Antwort, sondern platzt einfach ungebeten in mein Zimmer.
    »Warum beobachtest du uns?«, fragt sie.
    »Ich habe bloß aus dem Fenster geschaut.«
    »Du hast uns angeschaut.«
    »Weil ihr zufällig da wart.«
    Ihr Blick fällt auf meinen Schreibtisch. Dort liegt aufge schlagen das Buch, das meine Mutter mir geschenkt hat, als ich zehn wurde. Allgemein bekannt unter dem Namen Das Ägyptische Totenbuch , ist es eine Sammlung antiker Sarg-texte: sämtliche Zaubersprüche und Beschwörungen, die man braucht, um sich im Jenseits zurechtzufinden. Sie tritt näher heran, zögert aber, das Buch anzufassen, als könnte sie sich an den Seiten die Finger verbrennen.
    »Interessierst du dich für Totenrituale?«, frage ich.
    »Das ist doch alles bloß Aberglaube.«
    »Wie willst du das wissen, wenn du es nie ausprobiert hast?«
    »Kannst du etwa diese Hieroglyphen entziffern?«
    »Meine Mutter hat es mir beigebracht. Aber das da sind nur kleinere Zaubersprüche. Nicht die wirklich mächti gen.«
    »Und was kann ein mächtiger Zauberspruch so bewirken?« Sie schaut mich an, und ihr Blick ist so direkt und unbe irrbar, dass

Weitere Kostenlose Bücher