Blutmale
fangen und sie ›ihren‹ Menschen ins Haus bringen, als Geschenk sozusagen. Als Zeichen ihrer Zuneigung.«
»Sie glauben also, unser Mörder versucht, O'Donnell zu imponieren.«
»Deswegen hat er sie angerufen. Deswegen hat er am Tatort alles so sorgfältig inszeniert - um ihr Interesse zu wecken. Damit seine Tat auch bemerkt wird, ruft er die Notrufzentrale an. Ein paar Stunden später, als wir in der Küche stehen, ruft er von einer Telefonzelle aus im Haus des Opfers an, nur um sich zu vergewissern, dass wir da sind. Dieser Täter versucht, uns alle zu ködern. Die Polizei - und auch O'Donnell.«
»Ist ihr klar, in welcher Gefahr sie möglicherweise schwebt?«, fragte Marquette. »Dass sie im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit eines Mörders stehen könnte?«
»Das schien sie nicht sonderlich zu beeindrucken.«
»Was muss denn noch geschehen, damit diese Frau es mit der Angst zu tun bekommt?«
»Vielleicht, dass er ihr ein kleines Zeichen seiner Verbundenheit zukommen lässt. Das Äquivalent einer toten Maus.« Jane machte eine Pause. »Vergessen wir nicht - Lori-Ann Tuckers Hand ist noch nicht wieder aufgetaucht.«
10
Jane musste unentwegt an diese Hand denken, als sie abends in ihrer Küche saß und kaltes Hähnchenfleisch für einen späten Imbiss in Scheiben schnitt. Sie trug den Teller zum Tisch, wo ihr sonst stets tadellos gepflegter Gatte mit hochgekrempelten Ärmeln und Babysabber am Kragen saß. Gab es et was Erotischeres als einen Mann, der sein Töchterchen auf dem Arm hielt und geduldig wartete, bis es sein Bäuerchen gemacht hatte? Endlich rülpste Regina herzhaft, und Gabriel lachte. Was für ein köstlicher, vollkommener Augenblick. Alle drei vereint, gesund und geborgen.
Dann sah sie auf die Hähnchenfleischteile hinunter und dachte an das, was auf einem anderen Teller gelegen hatte, auf dem Esstisch einer anderen Frau. Sie schob den Teller von sich.
Wir sind auch nur Fleisch. Wie Huhn. Oder Rind.
»Ich dachte, du hast Hunger«, sagte Gabriel.
»Ich hab's mir anders überlegt. Es sieht plötzlich gar nicht mehr so appetitlich aus.«
»Es ist wegen des Falls, nicht wahr?«
»Ich wünschte, ich könnte aufhören, daran zu denken.«
»Ich habe die Akten gesehen, die du heute Abend mitgebracht hast. Konnte mir nicht verkneifen, einen Blick reinzuwerfen. So was würde mich auch beschäftigen.«
Jane schüttelte den Kopf. »Ich denke, du hast Urlaub. Wieso ziehst du dir da Obduktionsfotos rein?«
»Sie haben nun mal dort auf der Anrichte gelegen.« Er setzte Regina in ihre Babyschale. »Willst du darüber reden? Du kannst gerne deine Theorien an mir auslassen, wenn du denkst, dass es hilft.«
Sie warf einen Blick auf Regina, die sie und Gabriel mit hell wachen Augen beobachtete, und sie musste plötzlich la chen. »Ha, wenn sie erst mal groß genug ist, um alles zu ver stehen, müssen wir wirklich aufpassen, worüber wir beim Abendessen so reden. Na, Schatz, wie viele kopflose Leichen hast du denn heute zu sehen gekriegt? «
»Sie kann uns aber nicht verstehen. Also, sprich dich aus.«
Jane stand auf, ging zum Kühlschrank, nahm eine Flasche Bier heraus und öffnete sie.
»Jane?«
»Willst du wirklich die Details hören?«
»Ich will wissen, was dich so sehr beschäftigt.«
»Du hast die Fotos gesehen. Du weißt, was mich beschäftigt.« Sie setzte sich wieder an den Tisch und trank einen Schluck Bier. »Manchmal«, sagte sie leise, »manchmal denke ich, man muss verrückt sein, um Kinder in die Welt zu setzen. Du liebst sie, du ziehst sie groß - und dann siehst du zu, wie sie in eine Welt hinausziehen, in der alle möglichen Gefahren auf sie lauern. Wo sie Leuten begegnen könnten wie …« Wie Warren Hoyt , dachte sie, doch sie sprach seinen Namen nicht aus. Das tat sie so gut wie nie. Es war, als könnte sie da mit den Teufel selbst heraufbeschwören.
Das plötzliche Summen der Türklingel ließ sie vom Stuhl hochfahren. Ihr Blick ging zur Küchenuhr. »Es ist halb elf.«
»Ich höre mal, wer es ist.« Gabriel ging ins Wohnzimmer und drückte auf den Knopf der Sprechanlage. »Ja?«
Eine Stimme, mit der sie nicht gerechnet hatten, tönte aus dem Lautsprecher. »Ich bin's«, sagte Janes Mutter.
»Kommen Sie rauf, Mrs. Rizzoli«, sagte Gabriel und drückte den Türöffner, während er Jane einen überraschten Blick zuwarf.
»Es ist schon so spät. Was tut sie hier?«
»Ich traue mich fast nicht zu fragen.«
Sie hörten Angelas Schritte auf der Treppe, langsamer und
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