Blutmale
schwerfälliger als sonst, begleitet von einem rhythmischen Poltern, als ob sie etwas Schweres hinter sich herschleppte. Erst als sie im ersten Stock angelangt war, konnten sie sehen, was es war.
Ein Koffer.
»Mom?«, sagte Jane. Doch wenn sie die Frau mit den wilden Haaren und dem noch wilderen Blick so anschaute, kamen ihr Zweifel, ob das wirklich ihre Mutter sein konnte. Angelas Mantel war offen, der Kragen nach innen geklappt, die Hose bis zu den Knien durchnässt, als wäre sie durch eine Schneewehe gestapft, um zu Janes Haus zu gelangen. Sie hielt den Koffer mit beiden Händen gepackt und schien drauf und dran, irgendjemandem damit eins überzuziehen. Egal wem.
Sie sah richtig gefährlich aus.
»Ich muss heute bei euch übernachten«, sagte Angela.
»Was?«
»Also, kann ich jetzt reinkommen oder nicht?«
»Sicher, Mom.«
»Warten Sie, ich helfe Ihnen, Mrs. Rizzoli«, sagte Gabriel und griff nach dem Koffer.
»Siehst du?«, sagte Angela und deutete auf Gabriel. » So muss ein Mann sich benehmen! Er sieht, dass eine Dame Hilfe braucht, und lässt sich nicht lange bitten. Da zeigt sich der wahre Gentleman .«
»Mom, was ist passiert?«
»Was passiert ist? Was passiert ist? Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll!«
Im Hintergrund begann Regina, lautstark zu protestieren, weil sie offenbar fand, dass man sie schon zu lange ignorierte.
Sofort eilte Angela in die Küche und hob ihre Enkelin aus dem Babysitz. »Ach, mein Schatz, mein armes kleines Mädchen! Du hast ja keine Ahnung, was dich erwartet, wenn du mal groß bist.« Sie setzte sich an den Tisch und wiegte das Baby, drückte es so fest an sich, dass Regina zu zappeln begann und sich aus der Umklammerung dieser Verrückten zu befreien suchte.
»Okay, Mom«, seufzte Jane. »Was hat Dad angestellt?«
»Von mir wirst du es nicht erfahren.«
»Von wem soll ich es denn erfahren?«
»Ich werde meine Kinder nicht gegen ihren eigenen Vater aufstacheln. Es gehört sich nicht, dass Eltern übereinander herziehen.«
»Ich bin kein Kind mehr. Ich muss wissen, was da los ist.«
Doch Angela verweigerte ihr jegliche Erklärung, schaukelte nur vor und zurück und drückte das Baby an ihre Brust. Reginas Versuche, sich zu befreien, wurden immer verzweifelter.
»Äh … was denkst du denn, wie lange du bei uns bleiben wirst, Mom?«
»Das weiß ich nicht.«
Jane blickte zu Gabriel auf, der bisher so klug gewesen war, sich aus der Diskussion herauszuhalten. Sie sah die gleiche Panik, die sie selbst empfand, in seinen Augen aufflackern.
»Ich muss mir vielleicht sogar eine neue Bleibe suchen«, sagte Angela. »Eine eigene Wohnung.«
»Moment mal, Mom. Du willst doch nicht sagen, dass du nie mehr zu ihm zurückgehen wirst?«
»Doch, genau das will ich sagen. Ich werde ein neues Le ben anfangen, Jane.« Sie sah ihre Tochter an, das Kinn trotzig vorgeschoben. »Andere Frauen machen das auch. Sie verlassen ihre Männer, und es geht ihnen gut dabei. Wir brauchen die Kerle nicht. Wir kommen auch wunderbar allein klar.«
»Mom, du hast doch keinen Job.«
»Was meinst du denn, was ich die letzten siebenunddrei ßig Jahre gemacht habe? Ständig für diesen Mann kochen und putzen, ist das vielleicht nichts? Und meinst du, er hätte das jemals zu schätzen gewusst? Von wegen - er kommt heim und schlingt einfach runter, was ich ihm vorsetze. Und schmeckt überhaupt nicht, mit wie viel Liebe und Sorgfalt das alles zubereitet ist. Weißt du, wie viele Leute mir schon gesagt haben, ich sollte ein Restaurant eröffnen?«
Und es wäre sicher ein hervorragendes Restaurant, dachte Jane. Aber sie würde sich hüten, irgendetwas zu sagen, was die ser Schnapsidee Vorschub leisten könnte.
»Also sag nie wieder zu mir: ›Du hast doch keinen Job.‹
Mein Job war es, mich um diesen Mann zu kümmern, und was habe ich jetzt vorzuweisen? Nichts. Da kann ich doch genauso gut die gleiche Arbeit machen und dafür Geld verlangen.« Sie drückte Regina mit neuer Energie an sich, und das Baby protestierte quäkend. »Ich werde nur ein Weilchen bei euch bleiben. Ich kann im Kinderzimmer schlafen. Auf dem Boden - das ist völlig okay für mich. Und ich passe auf sie auf, während ihr in der Arbeit seid. Wozu hat man schließlich eine Oma, nicht wahr?«
»Na schön, Mom.« Jane seufzte und ging zum Telefon. »Wenn du mir nicht sagen willst, was los ist, sagt Dad es mir vielleicht.«
»Was hast du vor?«
»Ich rufe ihn an. Ich wette, er ist nur zu gerne bereit, sich zu
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