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Blutmale

Blutmale

Titel: Blutmale Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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konnte.«
    »Ich könnte nie tun, was Sie tun, Daniel. Ich kann nicht gut mit Trauer umgehen.«
    »Aber das tun Sie doch. Notgedrungen.«
    »Nicht auf der gleichen Ebene wie Sie; nicht, wenn der Schmerz noch so frisch ist. Ich bin diejenige, von der sie alle Antworten auf ihre Fragen erwarten, aber nicht die, an die sie sich wenden, wenn sie Trost brauchen.« Sie sah ihn an. Im Halb dunkel des Wageninneren konnte sie nur seine Silhouette ausmachen. »Der letzte Polizeigeistliche des Boston PD hat nur zwei Jahre durchgehalten. Ich bin sicher, dass der Stress mit zu seinem Schlaganfall beigetragen hat.«
    »Nun ja, Pater Roy war schließlich schon fünfundsechzig.«
    »Und als ich ihn das letzte Mal gesehen habe, sah er aus wie achtzig.«
    »Nun ja, die Nachteinsätze schlauchen schon ganz ordentlich«, gab er zu. Sein Atem ließ das Fenster beschlagen. »Und für die Polizisten ist es schließlich auch nicht leicht. Genauso wenig wie für Ärzte oder Feuerwehrleute. Aber es hat auch sein Gutes«, fügte er hinzu und lachte leise. »Denn wenn ich nicht dann und wann zu einem Leichenfund gerufen würde, bekäme ich Sie wahrscheinlich überhaupt nicht mehr zu sehen.«
    Obwohl sie seine Augen nicht sehen konnte, spürte sie, wie sein Blick auf ihrem Gesicht ruhte, und sie war dankbar für die Dunkelheit.
    »Sie haben mich früher öfter besucht«, sagte er. »Wieso haben Sie damit aufgehört?«
    »Ich war doch in der Mitternachtsmesse, oder nicht?«
    Er lachte müde. »An Weihnachten gehen alle in die Kirche. Auch die, die nicht an Gott glauben.«
    »Aber ich war dort. Ich bin Ihnen nicht aus dem Weg gegangen.«
    »War es das, Maura? Sind Sie mir aus dem Weg gegangen?«
    Sie schwieg. Einen Moment lang sahen sie einander im dunk len Innenraum an. Die Luft aus dem Gebläse war kaum wärmer geworden, und ihre Finger waren immer noch gefühllos, aber trotzdem konnte sie spüren, wie ihr die Hitze in die Wangen stieg.
    »Ich weiß Bescheid«, sagte er leise.
    »Das kann ich mir kaum vorstellen.«
    »Ich bin auch nur ein Mensch - genau wie Sie, Maura.«
    Sie musste plötzlich lachen. Es klang bitter. »Also, wenn das kein Klischee ist. Der Priester und die einsame Frau aus seiner Gemeinde.«
    »Sie sollten es nicht darauf reduzieren.«
    »Aber es ist ein Klischee. Es ist wahrscheinlich schon tausendmal passiert. Priester und gelangweilte Hausfrauen. Priester und einsame Witwen. Ist es das erste Mal für Sie, Daniel? Für mich ist es jedenfalls das erste Mal, das können Sie mir glauben.« Sie schämte sich plötzlich, dass sie ihre Wut an ihm ausgelassen hatte, und wandte das Gesicht ab. Was hatte er denn eigentlich getan, außer ihr seine Freundschaft anzubieten, sich ihr zuzuwenden? Ich habe mir das alles selbst zuzuschreiben.
    »Wenn es Ihnen irgendwie hilft«, sagte er leise, »Sie sind nicht die Einzige, die unglücklich ist.«
    Sie saß vollkommen regungslos da, während die Luft zischend aus dem Gebläse strömte, und blickte starr auf die inzwischen gänzlich beschlagene Windschutzscheibe. Doch ihre übrigen Sinne waren alle voll und ganz auf ihn konzentriert. Selbst wenn sie blind und taub gewesen wäre, sie hätte immer noch gewusst, dass er da war, so sehr war ihre ganze Wahrnehmung auf ihn ausgerichtet. Und auf ihr eigenes pochendes Herz, auf das Knistern ihrer Nerven. Sein Geständnis, dass er unglücklich sei, erfüllte sie mit einer perversen Befriedigung. Wenigstens war sie nicht die Einzige, die litt, nicht die Einzige, die sich nachts schlaflos im Bett wälzte. Auch für unglücklich Verliebte gilt, dass geteiltes Leid halbes Leid ist.
    Ein lautes Klopfen am Fenster schreckte sie auf. Sie wandte sich um und erblickte eine schemenhafte Gestalt, ein Gesicht, das durch die beschlagene Scheibe hereinspähte. Als sie die Scheibe herunterließ, sah sie, dass es ein Streifenpolizist war.
    »Dr. Isles? Der Leichenwagen ist da.«
    »Danke. Ich komme sofort.« Summend fuhr das Fenster wieder hoch, und nasse Schlieren blieben auf dem Glas zurück. Sie schaltete den Motor aus und sah Daniel an. »Wir ha ben die Wahl«, sagte sie. »Wir können beide unglücklich sein. Oder wir können nach vorn schauen und die Sache vergessen. Ich entscheide mich dafür, nach vorn zu schauen.« Sie stieg aus und schlug die Tür zu. Die Luft, die sie einatmete, war so eiskalt, dass sie ihr die Kehle zu versengen schien. Aber die Kälte vertrieb auch den letzten Rest ihrer Unentschlossenheit. Sie sah jetzt mit absoluter Klarheit, was zu tun

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