Blutmale
studierte ihre Miene. »Ist das ein Problem?«
»Wir hatten gehofft, Sie separat befragen zu können.«
»Die Herrschaften sind nicht gerade begeistert darüber, dass wir den Fall schon in unserem Kreis diskutiert haben«, klärte ihn Edwina auf.
»Habe ich nicht vorausgesagt, dass sie so reagieren würden, Winnie?«
»Aber es ist doch viel effektiver, wenn man gemeinsam die Fakten klärt. So sparen alle Beteiligten Zeit.« Edwina trat an den Küchentisch und raffte einen riesigen Stapel Zeitungen zusammen - eine bunte Mischung, von der Bangkok Post bis hin zur Irish Times . Sie legte den Packen auf eine Arbeitsplatte und zog zwei Stühle heran. »Kommen Sie, setzen Sie sich. Ich gehe rasch nach oben und hole die Akte.«
»Die Akte?«, fragte Jane.
»Selbstverständlich haben wir schon eine Akte angelegt. Anthony dachte, dass Sie vielleicht gerne Kopien davon hätten.« Sie verließ die Küche, und sie hörten ihre stampfenden Schritte auf der Treppe.
»Sie ist wie ein mächtiger Mammutbaum, nicht wahr?«, sagte Oliver. »Ich wusste gar nicht, dass sie in England auch solche Prachtexemplare haben.« Er rollte seinen Stuhl an den Küchentisch und bedeutete ihnen, sich zu ihm zu setzen. »Ich weiß, das geht gegen Ihre sämtlichen Überzeugungen als Kriminalbeamte - unabhängige Zeugenbefragungen und so weiter. Aber diese Methode ist tatsächlich effizienter. Außerdem hatten wir heute früh schon eine Konferenzschaltung mit Gottfried; Sie bekommen also drei Zeugenaussagen auf einen Schlag.«
»Sie sprechen wohl von Gottfried Baum?«, fragte Jane. »Dem vierten Gast?«
»Ja. Er musste gestern Abend noch nach Brüssel zurückfliegen, deswegen haben er und Edwina die Gesellschaft früher verlassen. Wir haben ihn vor ein paar Stunden angeru fen, um uns mit ihm auszutauschen. Unsere Erinnerungen stimmen alle weitgehend überein.« Er schenkte Jane ein mattes Lächeln. »Es kommt selten genug vor, dass wir einmal in einem Punkt alle einer Meinung sind.«
Jane seufzte. »Wissen Sie, Mr. Stark …«
»So nennt mich kein Mensch. Ich bin Ollie.«
Jane setzte sich, sodass sie mit ihm auf einer Augenhöhe war. Er musterte sie mit leicht amüsierter Miene, und es war ein Blick, der sie ärgerte. Er schien zu sagen: Ich bin intel ligent, und ich weiß, dass ich es bin. Ganz bestimmt intel ligenter als irgendeine Polizistin. Es ärgerte sie auch, dass er damit vermutlich recht hatte - er sah schließlich auch aus wie der klassische Streber, neben dem in der Mathestunde niemand sitzen wollte. Der Junge, der seinen Algebra-Test schon abgab, wenn alle anderen noch über der ersten Aufgabe brüteten.
»Wir wollen keineswegs Ihre gewohnten Abläufe durcheinanderbringen«, sagte Oliver. »Wir möchten Ihnen lediglich helfen. Und das können wir, wenn wir alle zusammenarbeiten.«
»Sie können uns helfen, indem Sie unsere Fragen beantworten«, erwiderte Jane.
»Ich glaube, Sie missverstehen uns.«
»Was ist mir denn entgangen?«
»Wie nützlich wir für Sie sein können. Unsere Gruppe.«
»Ach ja. Mr. Sansone hat mir von Ihrem kleinen Verbrechensbekämpfungsclub erzählt.«
»Es ist eine Gesellschaft, kein Club.«
»Wo liegt da der Unterschied?«, fragte Frost.
Oliver sah ihn an. »In der Ernsthaftigkeit, Detective. Wir ha ben Mitglieder in der ganzen Welt. Und wir sind keine Ama teure.«
»Haben Sie eine kriminalistische Ausbildung, Ollie?«, fragte Jane.
»Von Beruf bin ich Mathematiker. Aber mein eigentliches Interessengebiet ist die Symbologie.«
»Bitte, was?«
»Ich interpretiere Symbole. Ihre Ursprünge und ihre Bedeutungen, sowohl die offensichtlichen als auch die verborgenen.«
»Aha. Und Mrs. Felway?«
»Sie ist Anthropologin. Ist erst vor Kurzem zu uns gestoßen. Mit besten Empfehlungen unserer Londoner Zweigstelle.«
»Und Mr. Sansone? Er ist doch ganz gewiss kein Kriminalist?«
»Er könnte aber durchaus einer sein.«
»Er sagte uns, er sei Geschichtsprofessor im Ruhestand. Er habe am Boston College gelehrt. Das scheint mir herzlich wenig mit Kriminalistik zu tun zu haben.«
Oliver lachte. »Das sieht Anthony ähnlich, dass er sein Licht unter den Scheffel stellt. Ganz typisch für ihn.«
Edwina kam mit einem Aktenordner in die Küche zurück. »Typisch für wen, Ollie?«
»Wir reden gerade über Anthony. Die Polizei denkt, er ist bloß ein Geschichtsprofessor im Ruhestand.«
»So will er es ja auch haben.« Edwina setzte sich. »Was soll es auch bringen, alles gleich
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