Blutmale
DNA.«
»Ein Zufall der Geburt. Wir sind nicht unsere Eltern.«
»Aber in irgendeiner Weise müssen die Verbrechen Ihrer Mutter Sie doch belasten, Maura. Sie müssen Sie ins Grübeln bringen.«
»Darüber, ob ich auch ein Monster bin?«
»Stellen Sie sich diese Frage?«
Sie zögerte, als sie seinen forschenden Blick spürte. »Ich bin ganz anders als meine Mutter. Ich würde sogar sagen, ich bin das genaue Gegenteil von ihr. Denken Sie nur an den Beruf, den ich gewählt habe, die Art von Arbeit, die ich mache.«
»Eine Art Sühne?«
»Ich habe nichts zu sühnen.«
»Dennoch haben Sie sich dafür entschieden, im Namen der Opfer zu wirken. Im Namen der Gerechtigkeit. Nicht jeder trifft diese Wahl, und schon gar nicht so gründlich und mit solcher Entschlossenheit, wie Sie es tun. Deshalb habe ich Sie heute Abend eingeladen.« Er öffnete die Tür zum Nebenzimmer. »Und deshalb will ich Ihnen etwas zeigen.«
Sie folgte ihm in ein holzgetäfeltes Esszimmer, wo der wuch tige Tisch bereits für fünf Personen gedeckt war. Mauras Blick glitt über Weingläser aus Kristall und glänzendes Porzellan mit kobaltblauem und goldenem Rand. Auch hier gab es einen Kamin, in dem ein munteres Feuer loderte, aber dennoch war es in dem riesigen Raum mit seiner dreieinhalb Meter hohen Decke entschieden kühl, und sie war froh, ihren Kaschmirpullover anbehalten zu haben.
»Darf ich Ihnen ein Glas Wein anbieten?«, fragte er und hielt eine Flasche Cabernet Sauvignon hoch.
»Danke, sehr gerne.«
Er schenkte ein und reichte ihr das Glas, doch sie beach tete es kaum; ihr Blick war gefesselt von den Porträts an der Wand. Eine Galerie von Gesichtern, Männer wie Frauen, die sie durch den Nebel der Jahrhunderte hindurch ansahen.
»Das sind nur einige wenige«, bemerkte er. »Die Porträts, die meine Familie im Lauf der Jahre hat zusammentragen können. Manche sind moderne Kopien, andere wiederum geben nur unsere vage Vorstellung vom Aussehen der Person wieder. Aber ein paar von diesen Gemälden sind Originale. Nach dem Leben gemalt.« Er durchquerte das Zimmer und blieb vor einem der Porträts stehen. Es zeigte eine junge Frau mit glutvollen dunklen Augen, deren schwarzes Haar im Nacken locker zusammengebunden war. Ihr Gesicht war ein bleiches Oval, und im schwachen Licht des Kaminfeuers wirkte ihre Haut durchscheinend und so lebendig, dass Maura fast den Pulsschlag in diesem weißen Hals ahnen konnte. Die junge Frau wandte sich dem Betrachter halb zu, ihr Blick war direkt und unerschrocken. In ihrem burgunderfarbenen Kleid schimmerten goldene Fäden.
»Ihr Name war Isabella«, sagte Sansone. »Dieses Porträt wurde einen Monat vor ihrer Hochzeit gemalt. Das Bild war ziemlich stark beschädigt und musste restauriert werden. Die Leinwand wies Brandflecken auf. Wir können von Glück sagen, dass es überhaupt das Feuer überstanden hat, das ihr Haus zerstörte.«
»Sie ist sehr schön.«
»Ja, das war sie. Und das war auch ihr Unglück.«
Maura sah ihn fragend an. »Wieso?«
»Sie war verheiratet mit Nicolo Contini, einem venezianischen Adligen. Nach allem, was man weiß, war es eine sehr glückliche Ehe, bis« - er hielt einen Moment inne - »bis Antonino Sansone ihr Leben zerstörte.«
Sie sah ihn überrascht an. »Das ist der Mann auf dem Porträt - im Salon nebenan?«
Er nickte. »Mein berühmter Vorfahre. Gewiss, er konnte alle seine Taten rechtfertigen, indem er sie als Teil seines Feld zugs gegen den Teufel darstellte. Die Kirche gab ihren Segen zu allem - der Folter, dem Blutvergießen, den Verbrennungen auf dem Scheiterhaufen. Die Venezianer taten sich ganz besonders hervor, wenn es ums Foltern ging, und wa ren höchst kreativ darin, immer brutalere Instrumente zu erfinden, um Geständnisse zu erzwingen. Die Anschuldigungen mochten noch so abstrus sein, nach ein paar Stunden in der Folterkammer mit Monsignore Sansone bekannte sich so gut wie jeder schuldig im Sinne der Anklage. Ob der Vorwurf lautete, eine Hexe zu sein, seinen Nachbarn verzaubert zu haben oder mit dem Teufel zu verkehren, nur wer ein umfassendes Geständnis ablegte, konnte auf Erlösung von seinen Schmerzen hoffen, auf die Gnade des Todes. Der allerdings kam auch nicht sonderlich gnädig daher, da die meisten Verurteilten bei lebendigem Leib verbrannt wurden.« Er ließ den Blick über die Porträts im Raum wandern. Die Gesichter der Toten. »All die Menschen, die Sie hier sehen, haben unter ihm gelitten. Männer, Frauen, Kinder - er machte keinen
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