Blutmale
Unterschied. Es heißt, er sei jeden Morgen voller Tatendrang erwacht und habe sich für seine Aufgabe gestärkt, indem er zum Frühstück mit großem Appetit Brot und Fleisch verzehrte. Dann warf er sich seine blutbespritzte Robe um und machte sich ans Werk, um die Ketzer auszurotten. Man konnte die Schreie der Gefolterten durch die dicken Mauern hindurch bis auf die Straße hören.«
Mauras Blick kreiste durch den Raum, glitt über die Bildnisse der Verdammten, und im Geiste sah sie die gleichen Ge sichter vor sich, blutig und schmerzverzerrt. Wie lange hatten sie standgehalten? Wie lange hatten sie sich an die Hoffnung geklammert, ihrem Schicksal entfliehen und ihr Leben retten zu können?
»Antonino hat sie alle besiegt«, sagte er. »Bis auf eine.« Sein Blick war wieder auf die Frau mit den leuchtenden Augen gerichtet.
»Isabella hat überlebt?«
»O nein. Niemand, dem er seine Aufmerksamkeit zuwandte, hat überlebt. Sie ist gestorben, wie alle anderen. Aber sie wurde nie bezwungen.«
»Sie weigerte sich zu gestehen?«
»Oder sich zu unterwerfen. Sie hätte nur ihren Ehemann belasten müssen. Ihn verleugnen, ihn der Hexerei beschuldigen - dann hätte sie vielleicht überlebt. Denn was Antonino wirklich wollte, war nicht ihr Geständnis. Er wollte Isabella selbst.«
Ihre Schönheit war ihr Unglück . Das hatte er damit gemeint.
»Ein Jahr und einen Monat«, fuhr er fort. »So lange hat sie überlebt, in einer Zelle ohne wärmendes Feuer, ohne Licht. Jeden Tag aufs Neue wurde sie ihrem Peiniger vorgeführt.« Er sah Maura an. »Ich habe die Instrumente aus jener Zeit gesehen. Ich kann mir keine Spielart der Hölle vorstellen, die schlimmer wäre.«
»Und er hat sie nie erobert?«
»Sie widerstand ihm bis zum bitteren Ende. Selbst als sie ihr ihr neugeborenes Kind wegnahmen. Selbst als sie ihr die Hände brachen, ihr die Haut vom Rücken peitschten, ihre Gelenke auseinanderrissen. Jede Grausamkeit wurde von Antonino peinlich genau in seinen privaten Tagebüchern festgehalten.«
»Haben Sie diese Tagebücher mit eigenen Augen gesehen?«
»Ja. Sie wurden in unserer Familie von Generation zu Generation weitergegeben. Heute lagern sie in einem Tresor, zusammen mit anderen unerfreulichen Erbstücken aus jener Epoche.«
»Was für ein entsetzliches Erbe.«
»Das habe ich gemeint, als ich Ihnen sagte, wir hätten gemeinsame Interessen, gemeinsame Anliegen. Wir haben beide vergiftetes Blut geerbt.«
Ihr Blick ging wieder zu Isabellas Gesicht, und da registrierte sie etwas, was er vor wenigen Augenblicken gesagt hatte. Sie haben ihr ihr neugeborenes Kind weggenommen.
Sie sah ihn an. »Sie sagten, sie hätte im Gefängnis ein Kind geboren.«
»Ja. Einen Sohn.«
»Was wurde aus ihm?«
»Er wurde in die Obhut eines nahen Klosters gegeben, wo er heranwuchs.«
»Aber er war der Sohn einer Ketzerin. Warum hat man ihn am Leben gelassen?«
»Wegen des Mannes, der sein Vater war.«
Sie sah ihn betroffen an, als sie endlich begriff. »Antonino Sansone?«
Er nickte. »Der Knabe wurde geboren, als seine Mutter schon elf Monate im Kerker saß.«
Die Frucht einer Vergewaltigung , dachte sie. Das also ist Sansones Stammbaum. Er geht zurück auf das Kind einer dem Tode geweihten Frau.
Und eines Ungeheuers.
Sie blickte sich um und betrachtete die anderen Porträts. »Ich glaube nicht, dass ich diese Bilder bei mir zu Hause aufhängen würde.«
»Sie finden es makaber.«
»Jeden Tag würden sie mich daran erinnern, wie sie gestorben sind. Sie würden mich in meinen Träumen verfolgen.«
»Sie würden sie also auf dem Dachboden verstecken? Es vermeiden, sie überhaupt anzusehen - wie Sie es auch vermeiden, über Ihre Mutter nachzudenken?«
Sie verspannte sich unwillkürlich. »Ich habe keinen Grund, über sie nachzudenken. Sie spielt keine Rolle in meinem Leben.«
»Doch, das tut sie. Und Sie denken über sie nach, habe ich recht? Sie können es gar nicht vermeiden.«
»Aber ich hänge mir ganz bestimmt kein Bild von ihr im Wohnzimmer auf.« Sie stellte ihr Weinglas auf den Tisch. »Das ist eine bizarre Art von Ahnenkult, die Sie da betreiben. Den Folterknecht der Familie im Salon zur Schau zu stellen wie eine Art Ikone, wie jemand, auf den Sie stolz sind. Und hier im Esszimmer haben Sie eine Galerie seiner Opfer eingerichtet. All die Gesichter, die Sie anstarren, wie eine Trophäensammlung. So, wie ein …«
Wie ein Jäger sie aufhängen würde.
Sie schwieg und starrte auf ihr leeres Glas, und ihr wurde
Weitere Kostenlose Bücher