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Blutmale

Blutmale

Titel: Blutmale Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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»Ich hatte jedenfalls bis heute nie von dieser Lilith gehört. Oder von dieser Bocksfigur.«
    »Azazel«, sagte Oliver. Er riss das Blatt mit seiner jüngs ten Zeichnung heraus und legte es so auf den Couchtisch, dass alle es sehen konnten. Es war eine detailliertere Version des Gesichts, das an Mauras Tür gezeichnet worden war: ein gehörnter Ziegenbock mit Schlitzaugen und einer Flamme, die über seinem Kopf brannte. »Die Bocksdämonen werden im dritten Buch Mose und in Jesaja erwähnt. Es waren behaarte Wesen, die sich mit wilden Kreaturen wie Lilith vergnügten. Der Name Azazel geht auf die Kanaaniter zurück; wahrscheinlich leitet er sich vom Namen eines ihrer alten Götter ab.«
    »Und den stellt dieses Symbol an der Tür dar?«, fragte Frost.
    »Das ist meine Vermutung.«
    Jane lachte; sie konnte ihre Skepsis nicht verbergen. »Eine Vermutung? Mit harten Fakten haben Sie's wohl nicht so, wie?«
    »Sie halten diese ganze Diskussion für Zeitverschwendung?«, fragte Edwina.
    »Ich finde nun mal, ein Symbol ist immer das, was Sie daraus machen. Sie glauben, es ist ein Bocksdämon. Aber für den kranken Spinner, der es gezeichnet hat, bedeutet es vielleicht etwas völlig anderes. Erinnern Sie sich noch an das ganze Zeug, das Sie und Oliver uns über dieses Horus-Auge erzählt haben? Die Bruchzahlen, der Viertelmond? Ist das jetzt plötzlich alles nur noch leeres Gewäsch?«
    »Ich habe Ihnen doch erklärt, dass das Auge für eine Reihe verschiedener Dinge stehen kann«, sagte Oliver. »Der ägyptische Gott. Das allsehende Auge Luzifers. Oder das freimaurerische Symbol der Erleuchtung und der Weisheit.«
    »Das sind ziemlich entgegengesetzte Bedeutungen«, meinte Frost. »Einmal der Teufel und dann wieder die Weisheit?«
    »Das sind überhaupt keine Gegensätze. Sie dürfen nicht vergessen, was der Name Luzifer bedeutet. Übersetzt heißt das ›der Lichtbringer‹.«
    »Das klingt allerdings nicht besonders böse.«
    »Manche behaupten, dass Luzifer tatsächlich nicht böse ist«, sagte Edwina, »sondern dass er für den fragenden Geist steht, den unabhängigen Denker - ebenjene Dinge, durch die sich die Kirche einst bedroht sah.«
    Jane prustete ungläubig. »Jetzt ist Luzifer also plötzlich gar kein Bösewicht mehr? Er hat bloß zu viele Fragen gestellt?«
    »Wen Sie als Teufel bezeichnen, hängt von Ihrem Standpunkt ab«, entgegnete Edwina. »Mein verstorbener Mann war Anthropologe. Ich bin durch ihn in der ganzen Welt herumgekommen und habe Bildnisse von Dämonen gesammelt, die wie Schakale oder Katzen oder Schlangen aussehen. Oder wie schöne Frauen. Jede Kultur hat ihre eigene Vorstellung vom Aussehen des Teufels. Nur in einem stimmen fast alle überein, angefangen mit den ältesten Stammesgesellschaften: dass der Teufel tatsächlich existiert .«
    Maura dachte an das gesichtslose schwarze Etwas, das sie am Abend zuvor in O'Donnells Schlafzimmer flüchtig erblickt hatte, und sie spürte ein kaltes Prickeln im Nacken. Sie glaubte nicht an Satan. Aber sie glaubte sehr wohl an das Böse. Und gestern Abend bin ich ihm zweifellos begegnet. Ihr Blick fiel auf Olivers Zeichnung des gehörnten Ziegenbocks. »Dieses Ding - dieser Azazel -, ist er auch ein Symbol für den Teufel?«
    »Nein«, antwortete Oliver. »Azazel wird häufig als Sym bol für die Wächter verwendet.«
    »Wer sind denn diese Wächter , von denen Sie die ganze Zeit reden?«, fragte Frost.
    Edwina sah Maura an. »Haben Sie eine Bibel, Dr. Isles?«
    Maura runzelte die Stirn. »Ja.«
    »Wären Sie so freundlich, sie uns zu bringen?«
    Maura trat ans Bücherregal und suchte das oberste Bord nach dem vertrauten, abgegriffenen Einband ab. Die Bibel hatte ihrem Vater gehört, und Maura hatte sie seit Jahren nicht mehr aufgeschlagen. Jetzt nahm sie das Buch aus dem Regal und reichte es Edwina. Staubwölkchen wirbelten auf, als sie darin zu blättern begann.
    »Da haben wir's - Genesis, Kapitel 6, Vers 1 und 2: ›Da sich aber die Menschen begannen zu mehren auf Erden und ihnen Töchter geboren wurden, da sahen die Kinder Gottes nach den Töchtern der Menschen, wie sie schön waren, und nahmen zu Weibern, welche sie wollten.‹«
    »Die Kinder Gottes?«, fragte Frost.
    »Diese Stelle bezieht sich mit ziemlicher Sicherheit auf Engel«, erklärte Edwina. »Es heißt hier, dass Engel die Menschenfrauen begehrten und sie deswegen heirateten. Eine Verbindung zwischen dem Göttlichen und dem Sterblichen. Und hier haben wir Vers 4: ›Es waren auch zu den

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