Blutmale
Zeiten Rie sen auf Erden; denn da die Kinder Gottes zu den Töchtern der Menschen eingingen und sie ihnen Kinder gebaren, wurden daraus Gewaltige in der Welt und berühmte Männer.‹« Edwina klappte das Buch zu.
»Was hat das alles zu bedeuten?«
»Es heißt, dass sie Kinder bekamen«, erklärte Edwina. »Das ist die einzige Stelle in der Bibel, wo diese Kinder erwähnt werden. Sie waren aus der Verbindung zwischen Menschen und Engeln hervorgegangen; eine Mischrasse von Dämonen, genannt Nephilim.«
»Auch bekannt unter dem Namen ›Wächter‹«, ergänzte Sansone.
»Sie werden Hinweise auf sie in anderen Quellen finden, die älter sind als die Bibel. Im Buch Henoch etwa, und im Buch der Jubiläen. Sie werden als Ungeheuer beschrieben, die Brut gefallener Engel, die Verkehr mit Menschenfrauen hatten. Das Ergebnis war eine geheime Rasse von Mischwesen, die angeblich immer noch unter uns lebt. Diese Wesen sol len außerordentlich charmant und talentiert sein, dazu ungewöhnlich schön. Oft sind sie sehr groß gewachsen und charismatisch. Aber dennoch sind sie Dämonen, und sie dienen der Finsternis.«
»Und Sie glauben das tatsächlich?«, fragte Jane.
»Ich sage Ihnen nur, was in den heiligen Schriften steht, Detective. Die Alten glaubten, dass die Menschen nicht allein auf Erden seien, dass andere vor uns da gewesen seien. Demnach gäbe es auch heute noch Menschen, in deren Adern das Blut dieser Ungeheuer fließt.«
»Aber Sie nannten sie die Kinder von Engeln.«
»Von gefallenen Engeln. Unrein und böse.«
»Diese Kreaturen, diese Wächter, sind also so was wie Mutanten«, sagte Frost. »Zwitterwesen.«
Edwina sah ihn an. »Eine Subspezies. Brutal und raubtierhaft. Wir normalen Menschen sind für sie nur Beute.«
»Es steht geschrieben«, sagte Oliver, »dass am Jüngsten Tag, wenn die Welt, wie wir sie kennen, untergeht, der Antichrist selbst einer der Nephilim sein wird. Ein Wächter.«
Und ihr Zeichen ist an meiner Tür. Maura starrte die Skizze des Ziegenkopfes an. War das Symbol als Warnung gedacht?
Oder als Einladung?
»Tja«, sagte Jane und sah demonstrativ auf ihre Uhr. »Da haben wir unsere Zeit doch mal wirklich sinnvoll genutzt.«
»Sie sehen immer noch nicht ein, wieso das alles von Bedeutung ist, nicht wahr?«, sagte Sansone.
»Es ist eine tolle Geschichte, die man abends am Lagerfeuer erzählen kann, aber es bringt uns dem Mörder kein Stück näher.«
»Es gibt uns Einblick in sein Denken. Es verrät uns, woran er glaubt.«
»An Engel und Bocksdämonen. Sehr schön. Oder vielleicht hat unser Täter ja auch Spaß daran, die Polizei an der Nase herumzuführen. Also bringt er uns dazu, unsere Zeit mit der Jagd nach Ocker und Muscheln zu vergeuden.« Jane stand auf. »Die Spurensicherung dürfte jeden Moment hier sein. Wie wär's, wenn Sie jetzt alle schön nach Hause fahren und uns unsere Arbeit machen lassen?«
»Augenblick«, unterbrach Sansone sie. »Was haben Sie da eben über Muscheln gesagt?«
Jane ignorierte ihn und sah Frost an. »Kannst du mal die Spusis anrufen und fragen, warum sie so lange brauchen?«
»Detective Rizzoli«, sagte Sansone, »sagen Sie uns, was es mit den Muscheln auf sich hat.«
»Sie scheinen Ihre eigenen Quellen zu haben. Warum fragen Sie nicht die?«
»Das könnte äußerst wichtig sein. Warum ersparen Sie uns nicht die Mühe und sagen es uns einfach?«
»Verraten Sie mir erst einmal, was eine Muschel zu bedeuten hat.«
»Was für eine Muschel? Eine zweischalige oder eine mit einem Schneckengehäuse?«
»Ist das ein Unterschied?«
»Ja.«
Jane zögerte. »Es ist eine Art Spirale. Also eher wie ein Schneckenhaus.«
»Und sie wurde am Tatort gefunden?«
»So könnte man es ausdrücken.«
»Beschreiben Sie die Muschel.«
»Da gibt es nicht viel zu beschreiben. Der Mann, mit dem ich gesprochen habe, sagt, dass es eine ganz gewöhnliche Art ist, die im ganzen Mittelmeer verbreitet ist.« Sie brach ab, als ihr Handy läutete. »Entschuldigen Sie mich«, sagte sie und ging hinaus. Eine Weile schwiegen alle. Die drei Mitglie der der Mephisto-Stiftung wechselten Blicke.
»Nun«, setzte Edwina schließlich leise an, »ich würde sagen, damit ist die Sache so ziemlich klar.«
»Was ist klar?«, fragte Frost.
»Die Muschel«, sagte Oliver, »erscheint in Anthonys Familienwappen.«
Sansone erhob sich von seinem Sessel und trat ans Fens ter. Von dort blickte er auf die Straße hinaus. Sein massiger schwarzer Rücken hob sich vom hellen Quadrat des
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