Blutmale
er. »Du bist's.«
»Du hast ihn entkommen lassen.«
»Ich mag sie nicht töten. Außerdem war es bloß ein Wolfs-barsch.«
»Du wirfst sie also alle wieder ins Wasser?«
»M-hm.« Teddy hängt einen neuen Köder an den Haken und wirft die Leine wieder aus.
»Was hat es dann für einen Zweck, sie überhaupt zu fan gen?«
»Es macht Spaß. Es ist ein Spiel zwischen uns. Zwischen mir und den Fischen.«
Ich setze mich neben ihn ans Ufer. Mücken sirren um un sere Köpfe, und Teddy wedelt sie weg. Er ist gerade elf ge worden, aber er hat noch die vollkommen glatte, zarte Haut eines Kindes, und der Babyflaum auf seinen Wangen schim mert golden im Sonnenlicht. Ich sitze so nahe neben ihm, dass ich seinen Atem hören kann und die Pulsader in sei nem schlanken Hals zucken sehe. Meine Gegenwart scheint ihn nicht zu stören; er schenkt mir sogar ein schüchternes Lächeln, als sei es ein besonderes Vergnügen, den Vormittag mit seinem älteren Cousin zu vertrödeln.
»Willst du mal probieren?«, fragt er und hält mir die Rute hin.
Ich nehme sie. Doch ich beobachte immer noch Teddy, re gistriere den feinen Schweißfilm auf seiner Stirn, die Schat ten, die seine Wimpern werfen.
Etwas zieht an der Leine.
»Du hast einen erwischt!«
Ich beginne, die Schnur einzurollen, und der Widerstand des Fisches lässt meine Hände vor Vorfreude schwitzen. Ich spüre, wie er zappelt, spüre seinen verzweifelten Kampf ums Überleben, der sich durch die Rute überträgt. Endlich bricht er durch die Wasseroberfläche, und sein Schwanz zuckt, als ich ihn ans Ufer schwinge. Ich bekomme seinen glitschigen, schuppigen Körper zu fassen.
»Jetzt zieh den Haken raus«, sagt Teddy. »Aber pass auf, dass du ihm nicht wehtust.«
Ich werfe einen Blick in den offenen Angelkasten und sehe ein Messer.
»Er kann an der Luft nicht atmen. Beeil dich«, drängt Teddy mich.
Ich überlege, nach dem Messer zu greifen, den zappelnden Fisch auf dem Gras festzuhalten und ihm die Klinge hinter den Kiemen ins Fleisch zu treiben. Ihn aufzuschlitzen, über die ganze Länge des Bauchs. Ich will spüren, wie er ein letz tes Mal zuckt, will spüren, wie seine Energie in einem be lebenden Schock auf mich übergeht. Dem gleichen Schock, den ich verspürt habe, als ich zehn Jahre alt war und den Cherem-Eid ablegte. Als meine Mutter mich endlich in den Kreis führte und mir das Messer reichte. »Du bist jetzt alt genug«, sagte sie. »Es ist Zeit, dass du einer von uns wirst.« Ich denke an das letzte Zucken der Opferziege, und ich erin nere mich an den Stolz in den Augen meiner Mutter, das bei fällige Gemurmel der Männer in ihren Gewändern. Ich will diese Erregung wieder spüren.
Ein Fisch kann sie mir nicht verschaffen.
Ich ziehe den Haken heraus und lasse den zappelnden Wolfsbarsch wieder in den See fallen. Er schlägt einmal mit der Schwanzflosse und schießt davon. Der Hauch einer Brise kräuselt die Wasseroberfläche, und die Libellen auf den Schilf halmen erzittern. Ich drehe mich zu Teddy um.
Und er sagt: »Warum schaust du mich so an?«
25
Zweiundvierzig Euro an Trinkgeldern - keine schlechte Ausbeute für einen kühlen Sonntag im Dezember. Als Lily der Reisegruppe nachwinkte, die sie gerade durch das Forum Romanum geführt hatte, spürte sie einen eiskalten Regentropfen auf der Wange. Sie blickte zu den dunklen, bedrohlich tief hängenden Wolken auf und fröstelte. Morgen würde sie mit Sicherheit eine Regenjacke brauchen.
Mit dem frisch verdienten Bündel Bargeld in der Tasche machte sie sich auf den Weg zu dem Einkaufsparadies für alle knauserigen Studenten in Rom: dem Flohmarkt an der Porta Portese in Trastevere. Es war schon ein Uhr mittags, und bald würden die Händler ihre Stände schließen, aber vielleicht könnte sie ja noch ein Schnäppchen ergattern. Als sie auf dem Markt anlangte, fiel bereits ein feiner Nieselregen. Das Gepolter der Kisten, die gepackt und verladen wurden, hallte über die Piazza di Porta Portese. Sie verlor keine Zeit und hatte im Nu einen gebrauchten Wollpulli für nur drei Euro erstanden. Er stank nach Zigarettenrauch, aber das ließ sich mit einer gründlichen Wäsche sicher beheben. Dann legte sie noch einmal zwei Euro für ein Regencape mit Kapuze hin, das bis auf einen einzelnen Streifen schwarzer Schmiere noch völlig in Ordnung war. Jetzt war sie vor Kälte und Regen geschützt und hatte immer noch Geld in der Tasche, und so gönnte sie sich den Luxus, noch ein wenig herumzustöbern.
Sie schlenderte
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