Blutmond - Wilsberg trifft Pia Petry - Kriminalroman
und lasse sie in meiner Handtasche verschwinden.
Da fällt mein Blick auf etwas, das nicht ins Bild vom perfekten Designerheim passt. Schmierig braune Schuhabdrücke auf dem glänzenden Parkett. Topft da gerade jemand seine Blumen um? Oder ist das gar keine Blumenerde? Mir wird plötzlich ganz flau. Mit zittrigen Knien folge ich der Spur bis zu einer Tür. Ich stoße sie auf und bereue es augenblicklich. Der Anblick ist grauenhaft. Alles, was an Blut in meinen Adern zirkulierte, findet sich geschlossen in meinen Füßen ein und ich muss mich am Türrahmen festhalten, um nicht wegzusacken. Ich habe ja schon einiges in meinem Leben gesehen, aber so etwas Entsetzliches noch nie. Die nackte Frau, die von mehreren Seilen gehalten über dem Bett hängt, ist tot und ihre Leiche ist über und über mit Blut verschmiert. Das Seil, das der Mörder ihr um den Hals geschlungen hat, ist dunkelrot verfärbt und direkt über ihrem Kehlkopf mit einem Knoten versehen, der wie eine Kette aussieht. Wie ein blutiges Schmuckstück, das sich tief in ihre Haut eingeschnitten hat.
Irgendjemand hat hier ein Schlachtfest veranstaltet und dabei keine Widerwärtigkeit ausgelassen. Lange schaue ich mir das nicht an. Es gibt Bilder, die kriegt man nie wieder aus dem Kopf, die machen sich selbstständig und belasten einen für den Rest des Lebens. Doch selbst wenn ich wollte, könnte ich nicht länger hinsehen, mein Magen macht sich bemerkbar. Leider ist das eine unangenehme, für meinen Job ziemlich unpraktische und schon häufiger vorgekommene Reaktion. Ich kann kein Blut sehen. Und schon gar nicht in solchen Mengen. Mein Frühstück will wieder raus. Nur nicht neben die Leiche kotzen, denke ich entsetzt.
Da höre ich ein Klacken. Erschrocken sehe ich mich um. Das Geräusch kam aus der Richtung einer halb offenen Tür, hinter der ein weiß gekachelter Fußboden schimmert. Das Badezimmer. Was, wenn der Mörder noch hier ist? Wenn er sich dort versteckt? Das kann nicht sein, geht es mir durch den Kopf. Schließlich ist das Blut schon geronnen. So taufrisch ist die Leiche nun auch wieder nicht. Aber vielleicht hat der Mörder etwas vergessen und ist zurückgekommen?
Mit zittrigen Fingern greife ich nach einer schweren Art-déco-Vase, die neben mir auf einem Sideboard steht. Regungslos stehe ich da und warte. Auf weitere Geräusche, auf einen Angriff, auf den Weltuntergang. Aber es passiert nichts. Mit der Vase in der Hand gehe ich langsam auf die Tür zu. Vielleicht habe ich mich ja verhört. Vielleicht kam das Geräusch aus der darunter liegenden Wohnung. Vielleicht war es nur ein Vogel, der gegen die Fensterscheibe geflogen ist.
Doch all diese Hoffnungen zerstieben, als ich die Tür vorsichtig aufdrücke. Da ist ein Schatten, der sich auf den Fliesen abzeichnet. Der Schatten eines Mannes. Entsetzt mache ich einen Schritt zurück, sehe in den Badezimmerspiegel und sehe ihn. Er steht hinter der Tür und beobachtet mich mit einem Gesichtsausdruck, in dem keinerlei Gefühlsregung erkennbar ist.
»Wilsberg!«, rufe ich erschrocken aus. »Was machen Sie denn hier?«
»Ich will meine Liste wiederhaben«, sagt er. »Oder hatten Sie gedacht, ich lasse mich so einfach austricksen?«
Ich komme nicht dazu, seine Frage zu beantworten. Mein Magen fängt erneut an zu rotieren. Und mir bricht der kalte Schweiß aus. Wilsberg macht einen Schritt auf mich zu und sofort reiße ich die Vase hoch.
»Kommen Sie mir nicht zu nahe«, flüstere ich panisch.
Völlig konsterniert sieht er mich an. Dann verfinstert sich sein Gesicht. »Sie glauben doch nicht etwa ...?«
»Was soll ich denn glauben?«
»Pia, jetzt hören Sie aber auf. Seh ich aus wie jemand, der so etwas macht?«, fragt er und deutet zum Bett.
»Die Irren sehen immer ganz harmlos aus.«
»Wie hätte ich das denn in der Zeit schaffen sollen?«, fragt er.
»Vielleicht haben Sie das ja schon heute Morgen geschafft. Und sind zurückgekommen, weil ich die Liste ...«
»Wir haben doch heute Morgen noch telefoniert. Da war ich in einem Café. Mit einer Freundin.«
Freundin?, denke ich. Was denn für eine Freundin? Doch lange interessiert mich das nicht. Ich muss würgen und schmecke Gallenflüssigkeit im Mund.
»Sie müssen sich doch hoffentlich nicht übergeben?«, fragt Wilsberg entsetzt und macht Anstalten, mir die Vase aus der Hand zu nehmen.
»Finger weg!«, fauche ich. »Machen Sie, dass Sie rauskommen! Ich kotze nicht so gern vor Publikum.«
»Geben Sie mir wenigstens die Vase«, sagt er,
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