Blutmond - Wilsberg trifft Pia Petry - Kriminalroman
Eingang zum Dressurplatz auf der Westerholt'schen Wiese. Die befindet sich an der Adenauerallee, zwischen Aasee und Schloss.«
Ich versicherte, dass ich die Wiese finden würde.
Ich hätte es mir denken können. Der undefinierbare Akzent der Anruferin, die überraschende zweite Begegnung mit der Asiatin im Meyerink-Verwaltungsgebäude: Die Marketingleiterin war niemand anders als die Frau, der Dracu im Club Marquis in die Oberlippe gebissen hatte.
Als ich sie neben dem Eingang zum Dressurplatz entdeckte, war ich einen Moment lang versucht, wieder umzudrehen und zu verschwinden. Doch da hatte sie mich schon gesehen und winkte mir zu. Flucht wäre jetzt einfach würdelos gewesen.
Mit steifem Rücken und einer Freundlichkeitsgrimasse im Gesicht ging ich auf sie zu. Sie streckte ihre Hand aus und strahlte mich an: »Kyoko Kano von der Meyerink & Co. KG. Und Sie sind Herr Wilsberg? Der Wirtschaftsjournalist?«
»So ist es.«
Sie gab dem Burschen am Eingang eine Eintrittskarte und zog mich auf den vom nächtlichen Dauerregen durchweichten Lehmweg. »Lassen Sie mich raten: Zuletzt haben Sie über den wirtschaftlichen Boom von SM-Clubs geschrieben?«
»Touché«, sagte ich. »Aber wenn Sie mich vor dem alten Meyerink bloßstellen wollen, kann ich das Gleiche mit Ihnen machen. Ich glaube, er wird nicht erfreut sein, wenn er erfährt, was seine Marketingleiterin in ihrer Freizeit treibt.«
»Wer sagt denn, dass ich Sie bloßstellen will?« Mit ihren hochhackigen Lederstiefeln reichte sie mir gerade bis zur Schulter. »Ich kann mir schon denken, wer und was Sie sind.« Sie schaute zu mir hoch. »Sie waren so niedlich entsetzt, als Sie Dracu und mich im Club gesehen haben. Ein Normalo, der sich ins Reich des Bösen und Verruchten verirrt hat. Wir haben uns anschließend köstlich amüsiert.«
»Freut mich, dass ich zur Unterhaltung beigetragen habe. Inzwischen bin ich nicht mehr ganz so naiv und weiß, dass Dracu mit seinen Folterkünsten in Ihren Kreisen sehr beliebt ist.«
»Ja«, sagte sie ganz ohne Ironie, »er ist ein Meister. Es gibt nur wenige, die Frauen so befriedigen können wie er.«
»Ich kenne genug Frauen, die nicht gerne gebissen werden wollen«, widersprach ich.
»Ach, das.« Sie fuhr sich instinktiv mit dem Finger über die Oberlippe. »Das ist doch nichts. Ein kleiner Kratzer.«
Wir verließen den Lehmweg und näherten uns einer kleinen überdachten Holztribüne.
»Jochen wollte mir nicht verraten, worüber er mit Ihnen gesprochen hat«, fuhr sie fort. »Es geht um Renate, nicht wahr?«
»Ich bin Wirtschaftsjournalist. Schon vergessen?«
Sie blieb stehen. »Begreifen Sie nicht, dass ich Ihnen helfen will? Wie jede andere Frau, die den Club besucht, möchte ich, dass das Schwein gefunden wird. Schließlich könnte ich die Nächste sein.«
Ich nickte. »Gut. Dann spielen Sie einfach mit, wenn ich mit Meyerink rede. So können Sie mir am besten helfen.«
Alfons Meyerink saß allein auf einer der vorderen Holzbänke, ein gedrungener Mann um die siebzig mit gepflegtem weißem Vollbart. Er trug einen blauen Trenchcoat über einem dreiteiligen Nadelstreifenanzug und starrte gebannt auf das sandige Rechteck, in dem sich ein Pferd samt Reiterin zu den Klängen einer Art Fahrstuhlmusik im James-Last-Sound bewegte.
»Wir warten, bis die Reiterin ihre Aufgabe beendet hat«, flüsterte mir Kyoko Kano in Ohr.
Also schaute ich zu, wie das Pferd galoppierte, trabte, schritt und tänzelte, geradeaus, diagonal, rückwärts und auf der Stelle. Das Tier sabberte vor Anstrengung oder Aufregung, obwohl meine unwissenden Augen nicht erkennen konnten, wie die mit weißer Hose, blauem Rock und einem etwas lächerlichen Hut ausgestattete Reiterin es dazu brachte, seine Hufe auf so ulkige Weise zu schwingen.
Als Pferd und Reiterin das Rechteck verließen und der Ansager eine Punktzahl verkündete, die im Publikum ein unwilliges Raunen auslöste, brachte mich Kyoko zu Meyerink. Er stand auf, drückte mir mit einem festen Griff die Hand und schaute mich aus wachen, stahlgrauen Augen an. Altersmilde war darin nicht zu erkennen, eher gehörte der Blick einem Mann, der es gewohnt war, andere nach seiner Pfeife tanzen zu lassen.
»Interessieren Sie sich für Dressurreiten?«
»Nicht besonders«, gab ich zu.
»Schade.« Er deutete auf die Holzbank. »Dann setzen Sie sich und seien Sie still. Vielleicht lernen Sie ja etwas.«
Ich setzte mich und fragte mich, wie lange die Lernphase wohl dauern würde. Als hätte sie
Weitere Kostenlose Bücher