Blutmord (Ein Paula Franz und Max Dörner Krimi)
Paula schaute Max fragend an.
„Ihr habt kein gemeinsames Kind verloren, Paula. Das ist etwas anderes. Du hast einen Menschen verloren, der dir sehr, sehr wichtig war. Es war dein Neffe, der einer der wichtigsten Menschen in deinem Leben war. Aber in Annes Leben hatte er einen anderen Stellenwert. Er gehörte mit zu eurer gemeinsamen Familie, aber er war dein Neffe. Die Situation ist eine andere. Du solltest Anne mehr an dich heran lassen. Gib ihr eine Chance, sie war wirklich in den letzten Monaten für dich da, sie hat alles versucht“, sagte Max ernst. Er betonte jedes einzelne Wort. „Hör mal, wenn ihr es nicht schafft, wer dann? Dann verliere ich den Glauben an die ewige Liebe.“ Erneut suchte er Paulas Blick.
„Du bist der Richtige. Du hast doch noch nie an die ewige Liebe geglaubt. Du bist doch derjenige, der noch keine einzige längerfristige Beziehung hatte, der sich nicht binden möchte und immer Angst davor hat, dass man ihn an die Kette legen könnte. Und nun soll ich dein Bild von der ewigen Liebe erhalten. Toll.“ Obwohl ihr nicht nach Lachen zumute war, musste Paula lächeln.
„Das ist etwas ganz anderes“, erwiderte Max, „ich bin ein Mann, mich darf man nicht an die Kette legen, aber bei euch gefühlsbetonten, emotionalen Frauen im Doppelpack, da gibt es bestimmt so etwas wie die ewige Liebe. Mensch Paula, mach da keinen Fehler.“
„Was machst du denn heute Abend?“, wechselte Paula nun schnell das Thema.
„Sport, ich werde einige Kilometer auf dem Laufband joggen“, gab Max zurück. „Du solltest dich auch auspowern, Sport macht den Kopf frei. Komm doch einfach mit“, Max sah Paula auffordern an. Diese überlegte einige Sekunden und blickte auf die Uhr. Gegen 18.00 Uhr würden sie das Präsidium verlassen können, Sport wäre genau das richtige heute Abend. Sie nickte. „Gute Idee. Ich bin dabei.“
Zwei Mal versuchte Paula vergeblich den Schlüssel ins Schloss zu stecken. Ihr war ganz schwindelig, trotzdem fühlte sie sich richtig gut. Sie hatte mit Max einen entspannten, stressfreien Abend verbracht. Sie hatten keine Probleme gewälzt, sie hatten einfach nur zusammen Spaß gehabt. Sie hatten sich beim Sport richtig ausgepowert und waren anschließend in der Kneipe neben dem Sportstudio versackt. Wie in alten Zeiten. Das war heute ihr Motto, stellte sie fest. Erst Marie, dann Max. Nach dem dritten vergeblichen Versuch die Tür zu öffnen, gab Paula auf und klingelte. Es dauerte einige Zeit, dann hörte sie Annes verschlafene Stimme durch die Sprechanlage: „Wer ist da?“ Sofort hatte Paula wieder ein schlechtes Gewissen, das gute Gefühl, das sie bis vor einigen Sekunden empfunden hatte, war augenblicklich verschwunden. Und es machte sich eine Unsicherheit mit Unbehagen in ihr breit. Ein Gefühl, dass sie derzeit in Annes Nähe permanent verspürte. „Ich habe den Schlüssel vergessen“, log Paula. Der Türöffner summte und Paula öffnete die Tür.
Oben angekommen empfing Paula eine leere Eingangstür, die angelehnt war. Anne war zurück ins Bett gegangen. „Entschuldige bitte. Tut mir wirklich leid, ich wollte dich nicht wecken“, rief Paula in Richtung Schlafzimmer. Erhielt aber keine Antwort. Schnell machte sie sich im Bad fertig und lief im Dunkeln durch die Wohnung ins Schlafzimmer. Leise zog sie sich aus und legte sich ins Bett. Anne lag von ihr abgewandt im gemeinsamen Bett und atmete gleichmäßig ein und aus. Doch Paula wusste, dass Anne nicht schlief. Paula starrte an die Decke und fragte sich, was sie zu Anne sagen könnte, um die Situation zu entschärfen. Irgendetwas. Ihr fiel nichts ein.
„Ich fahre Morgen für zwei Wochen zu meiner Schwester. Jeder von uns sollte sich unabhängig vom anderen in diesen zwei Wochen überlegen, ob und wie es mit uns weitergeht“, sagte Anne unvermittelt in die Dunkelheit hinein, ohne sich zu Paula umzudrehen.
Paula ließ die Worte auf sich wirken. Sie konnte darauf nichts erwidern. Sie starrte Annes Rücken an. Was fühlte sie? War sie traurig, war sie erleichtert? Sie konnte ihre Gefühle nicht einordnen. Sie wusste, dass Anne richtig handelte. Sie behandelte Anne derzeit nicht gut und hielt Anne absichtlich auf Abstand. Paula war sich nicht einmal sicher, ob sie Anne vielleicht bewusst verletzten wollte. Anne musste handeln. Einer von beiden musste etwas tun und wie immer war es Anne, die handelte. Paula würde diese unerträgliche Situation noch wochenlang aussitzen und ignorieren. Wenn eine Beziehung beiden Beteiligten
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