Blutmord (Ein Paula Franz und Max Dörner Krimi)
das Gefühl, Anne betrogen zu haben. Sie war seit gut fünf Jahren mit Anne zusammen. Die letzten Monate waren fast unerträglich gewesen, das wusste sie. Sie hatte alles abgeblockt. Und Anne hatte die logische Konsequenz gezogen und eine räumliche Trennung gefordert, um Abstand zu gewinnen. Und direkt nachdem Anne fort war, hatte sie mit einer anderen Frau geschlafen. Mit Johanna. Nun hatte sie wieder Johannas Gesicht vor Augen. Ihr Haar. Ihren Körper. Ihren Mund. Paula atmete aus. Sie hatte Anne mit der Frau betrogen, die sie schon seit dem ersten Kennenlernen sehr anziehend fand. Sie hatte Johanna von Beginn an gewollt, das war ihr nun klar. Sie hatte es sich nur nicht eingestanden, schon gar nicht, während es Anne an ihrer Seite gab. War das gut oder schlecht? Musste sie nun einen Schlussstrich unter die Beziehung zu Anne ziehen? Sie hatte den ganzen Tag mit Johanna kaum ein Wort gewechselt. Die Blicke, die sie sich im Vorbeigehen zugeworfen hatten, waren zwar eindeutig, doch sie hatten die Situation nicht weiter kommentiert. Keine von beiden wusste, was nun aus ihnen werden würde. Vielleicht war die ganze Geschichte für Johanna auch einfach nur eine Sache für eine Nacht gewesen. Paula wusste es nicht. Obwohl es ihr vor Max unangenehmen war, nachdem sie schon zu spät zur Arbeit erschienen war, war Paula heute wegen des Termins bei der Psychologin früher gegangen. Das konnte Johanna auch falsch interpretieren. Johanna war eventuell genauso unsicher wie sie. All das hätte sie eigentlich der Psychologin sagen sollen, doch bisher waren kaum mehr als zehn Wörter aus ihrem Mund gekommen. Die Stunde zog sich. Unmerklich schaute Paula zur Uhr. Noch dreißig Minuten. Dann fiel ihr Blick wieder auf die Frau, die ihr gegenüber saß und offenbar darauf wartete, dass Paula etwas sagte.
„Ich bin heute nicht sehr gesprächig, entschuldigen Sie bitte. Annes Reaktion hat mich einfach aus der Bahn geworfen, da hatte ich das dringende Bedürfnis zu reden. Um meine Stimmung aufzufangen“, setzte Paula stockend das Gespräch wieder in Gang.
Die Psychologin nickte, sagte aber nichts dazu, so dass Paula sich genötigt fühlte, fortzufahren.
„Ich vermisse Anne, aber ich kann mir im Moment kein Leben an ihrer Seite vorstellen. Wir tun uns im Moment nicht gut. Ich habe einfach nicht das Gefühl, als wären wir beide glücklich, auch wenn wir uns lieben. Verstehen Sie, was ich meine?“ Paula sah die Psychologin hilfesuchend an. „Ich habe das Gefühl, als würden wir einfach nur so vor uns hinleben, es fehlt die Gemeinsamkeit, das Aufregende, der Spaß. So sollte eine Beziehung nicht sein.“ Paula verstummte und schaute auf den Boden.
„Sie haben ihre Gefühle sehr klar beschrieben, Frau Franz. Sie sind sich über Ihre Gefühle schon im Klaren, Sie trauen sich nur nicht, diese zuzulassen. Sie haben Angst vor den Konsequenzen, die ein Handeln nach sich ziehen würde. Kann das sein?“ Die Psychologin beobachtete Paula eingehend.
„Das ist nicht so einfach. Ich liebe Anne immer noch. Sie gehört zu meinem Leben dazu. Aber ich habe das Gefühl, dass wir einander nicht mehr glücklich machen.“ Paula hielt einen Augenblick inne. „Ich habe Anne betrogen. Letzte Nacht.“ Einen Moment ließ sie das Gewicht der Worte wirken. Sie schaute auf, um auf dem Gesicht der Psychologin eine Reaktion abzulesen. Ohne Erfolg. „Ich hatte das Gefühl endlich wieder lebendig zu sein. Ich hatte Gefühle, die ich schon gar nicht mehr kannte. Es war toll. Leider muss ich das sagen. Und ich habe während des ganzen Abends kein einziges Mal an Anne gedacht. Aber heute Morgen dann umso mehr, und jetzt weiß ich gar nicht mehr weiter.“
Die Psychologin schwieg einen Augenblick und machte sich einige Notizen. Paula sah verstohlen zur Uhr. Noch zehn Minuten. Sie fragte sich, ob ihr die Stunde gut getan hatte.
„Ich halte den Vorschlag Ihrer Lebensgefährtin, durch Abstand Klarheit zu gewinnen, für einen reifen, durchdachten Gedanken. Diese Auszeit sollten Sie nutzen, um sich über Ihre Gefühle Klarheit zu verschaffen. Neue Dinge sind immer aufregender, spannender, lebendiger und attraktiver. Die Frage ist, wie spannend ist das Neue, wenn es erst einmal so alt ist, wie das Alte, das man hat. Und was haben Sie an dem Alten, was schätzen Sie daran? Lohnt es sich nicht vielleicht doch, an dem Alten zu arbeiten, so dass es wieder neu, lebendig und spannend werden kann, aber zugleich die Vorteile des Alten und Vertrauten hat. All das liegt aber
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