Blutmord (Ein Paula Franz und Max Dörner Krimi)
auf wie ein verwundetes Tier. „Warum muss ich das gerade jetzt sehen?“, schrie er wütend. Er robbte über den Boden hin zum Schreibtisch und zog das kleine schwarz-weiße Bild aus einem Stapel Papiere hervor. Behutsam legte er es sich auf den Schoß und betrachtete es. Tränen tropften auf das Papier und durchnässten es. Er sah Kate genau vor sich. Fast triumphierend hatte sie vor ihm gestanden und etwas hochgehalten. Er konnte erst gar nicht sehen, was es war. Eine Kopie? Doch als er ihr Gesicht sah, wusste er schlagartig Bescheid, ohne dass sie auch nur ein einziges Wort sagen musste.
Die ganzen Wochen zuvor hatte er es geschafft sie komplett zu ignorieren. Seit jener verhängnisvollen Nacht hatte er kein Wort mehr mit ihr gesprochen, das hatte sie von ihm verlangt. Und wenn es eine Möglichkeit gäbe, Kate zu quälen, so musste er das tun, auch das war Gesetz. Er hatte ihr alles versprochen in der Hoffnung, dass alles wieder gut würde. Alles was sie verlangte, würde er tun. Absolut alles. Kate hatte einige Versuche unternommen, mit ihm Kontakt aufzunehmen, doch er hatte alles ignoriert. Er hatte sie stehen gelassen, einfach nicht beachtet. Auch als Mike das Video rumschickte, das er auf der Party von den beiden gedreht hatte, hatte er es sofort gelöscht. Er hatte keinen Blick darauf geworfen. Diese Nacht hatte ihm alles kaputt gemacht, er wollte daran nicht erinnert werden. Er büßte dafür jeden einzelnen Tag. Sie schlief nicht mehr mit ihm. Sie ließ ihn leiden. Sie verweigerte sich ihm, und er hatte unendliche Angst, dass er sie vielleicht für immer verlieren würde. Wegen dieser zehn Minuten, in denen er seine Beherrschung verloren hatte.
Und dann, rund sieben Wochen nach dem schlimmsten Tag in seinem Leben, kam der Tag, der alles bisher Dagewesene in den Schatten stellen sollte. Kate wartete vor dem Schultor auf ihn. In einer grünen Jeansjacke. Dazu hatte sie eine weiße Hose an. Das Bild hatte sich in ihm eingebrannt. Sie hielt etwas in ihrer Hand. Sie hatte einen entschlossenen Gesichtsausdruck. Er wusste, er konnte Kate heute nicht ignorieren. Sie würde das nicht zulassen. Aber er durfte nicht mir ihr sprechen. Er hatte es ihr hoch und heilig verspochen. Schnell sah er zu Boden, vermied jeglichen Blickkontakt mit Kate. „Bleib stehen, du Schlappschwanz“, rief sie ihm zu, als er versuchte, an ihr vorbei zu gehen. „Du kannst mich nicht ewig ignorieren. Und jetzt schon gar nicht mehr“, dabei wedelte sie mit dem Papier in ihrer Hand.
Er riskierte einen Blick und überlegt kurz, was sie meinen könnte und was sie da in ihrer Hand hielt. Doch dann traf ihn die Erkenntnis wie ein Schlag. Er verstand, um was es sich handelte und er musste nur eins und eins zusammenzählen. Nein, sagte er sich, nein. Bitte nicht. Bitte, bitte nicht. Doch Kate war gnadenlos. Sie stellte sich ihm in den Weg und hielt das Ultraschallbild so hoch, dass er genau darauf schauen musste. „Deine Geilheit hat ein Nachspiel. Nun musst du die Konsequenzen für dein Handeln tragen und für dein Kind die Verantwortung übernehmen.“ Dabei fixierte sie ihn. Es schnürte ihm augenblicklich die Kehle zu. Er konnte nur den Kopf schütteln, zu weiteren Reaktionen war er nicht fähig.
„Los äußere dich endlich dazu. Wie stellst du dir das Ganze vor? Ich werde das Kind bekommen. Das steht für mich fest. Eine Abtreibung kommt für mich auf keinen Fall in Frage. Und du bist der Vater. Auch das steht zweifelsfrei fest. Und du brauchst die Vaterschaft erst gar nicht anzuzweifeln. Du bist der Vater, es kommt kein anderer für den besagten Zeitraum in Betracht.“ Er drehte sich einfach um und ging den gleichen Weg zurück, den er zuvor gekommen war. Ganz langsam, ohne seine Umgebung wahrzunehmen. Autos fuhren an ihm vorbei, hupten, als er ohne sich umzudrehen über die Straße wankte, Mitschüler rannten an ihm vorbei, ohne dass er sie erkannte. Stundenlang schloss er sich zu Hause in seinem Zimmer ein. Was sollte er nur tun? Wie sollte er ihr das erklären? Was würde sie von ihm verlangen, damit er diesen Fehler jemals wieder gut machen konnte, damit sie ihn nicht verließ? Er weinte, er schrie, er schlug mit der Faust gegen die Wand, so fest er konnte. Doch nichts von alledem half.
Vier Stunden später saß sie ihm gegenüber und sprach ihr Urteil: „Sie muss dafür sterben.“ Mehr sagte sie zunächst nicht. Er nahm die Worte auf, ohne sie richtig zu verstehen. Er hatte gebeichtet, sie entschied über die Absolution. Er
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