Blutnächte - 2
Hechtsprung über den Altar stürzte.
„Was fällt dir ein, du dumme Sterbliche?“, fauchte er sie an.
Schnell hatte er die goldene Waffe zurück in seinen Besitz gebracht. Er fasste Isabella bei der Schulter und drückte sie grob gegen die steinerne Kante des Altars. Die Klinge legte sich nun an ihre eigene Kehle. Sie nahm den Geruch des Metalls auf. Es vermischte sich mit Blut. Pierre hatte sie ganz leicht mit der Spitze des Dolches unterhalb des Kinns verletzt. Ein Tropfen Blut fiel hinab auf die Klinge.
„Schließ dich mir an! Das wird deine letzte Gelegenheit sein.“
Isabella senkte nur stumm den Kopf. Sie konnte seine Forderungen ganz einfach nicht erfüllen. Die Dunkelheit war zwar verlockend, aber einer Unschuldigen – wie Alice – etwas anzutun, widerstrebte am Ende doch ihrer Natur.
„Dann verabschiede dich von deinem Geliebten.“
Pierre wirbelte herum. Er stürzte auf Pascal zu, der schlaff in seinen Ketten an der Wand hing. Einer wilden Bestie gleich ragte Pierre über dem geschwächten Körper dort am Boden auf. Seine Gestalt wirkte überdimensional. Immer weiter schien er zu wachsen.
„Nein!“, schrie Isabella, als sie mit ansehen musste, wie er Pascal auf seine Arme hob. Pierres Klauen schlossen sich um ihren Liebsten. Er quetschte ihm den Atem aus dem Brustkorb. Seine Krallenfinger ergriffen Pascals Unterkiefer und zwangen das Gesicht brutal in Isabellas Richtung.
„Sieh sie dir ein letztes Mal an, deine Bella.“ Verachtung sprach aus Pierres Stimme. Er würde sie alle in die Verdammnis schicken. Auch Isabella, diese Sterbliche, die ihm auf ihre ungewöhnliche Weise die Sinne vernebelte. Für eine kurze Weile hatte er tatsächlich geglaubt, sie auf die Seite der Dunkelheit hinüberziehen zu können. Er hatte sie zu einer von ihnen machen wollen. Einer Vampirin – und gleichfalls zu seiner Gefährtin für die Ewigkeit. Aber die Schönheit weigerte sich, sich ihm zu unterwerfen. Seinen Willen anzunehmen und ihn zu ihrem eigenen zu machen. Pierre konnte nicht einmal in die hintersten Ecken ihrer Gedanken vordringen. Eine ungewöhnliche Tatsache für einen Menschen. Er hatte allerdings nicht vor, sich ernsthaft damit auseinanderzusetzen.
Boshaft grinsend wiegte er den Kopf. Er würde kurzen Prozess machen. Mit Pascal. Mit Isabella. Dem blonden Mädchen auf dem Altar, an dessen Namen er sich nicht erinnerte. Vielleicht sogar mit Chantal.
Die goldene Klinge blitzte im Kerzenschein. Pierre drehte den Dolch in seiner rechten Hand, während er mit der anderen fest in Pascals Nacken zugriff.
„Nein, das darfst du nicht tun!“ Isabella war außer sich vor Verzweiflung. Sie wollte ihren geliebten Vampir retten. Um jeden Preis.
Hätte sie doch nur eine Ahnung gehabt, wie sie es anstellen sollte!
~~~
Plötzlich herrschte Ruhe. Als hätte jemand sämtliche Geräusche mit einem Mal eingefangen und in einer imaginären Truhe eingesperrt. Das Kerzenlicht erstarb beinahe. Nur ein schwacher Schein blieb zurück. Ein Menschenauge konnte ihn kaum durchdringen. Sogar die Luft schien dem Kerkerraum zu entschwinden und ihn auf diese Weise in ein Vakuum zu verwandeln.
Isabella starrte durch die eingetretene Dunkelheit und versuchte ganz vorsichtig, sich voranzutasten. Gerade war sie im Begriff gewesen, um den Steinaltar herumzuhechten und ihren geliebten Pascal aus den Klauen des niederträchtigen Pierre zu befreien. Aber nun machte sie unbeholfen einen Schritt vor den anderen und musste sich dabei an der Kante des Altars festhalten. Angestrengt lauschte sie. Gab es da eine Klinge, die auf Fleisch traf und eine Wunde verursachte?
Sie hörte nichts. Nicht einmal den röchelnden Atem des Monstrums, in das Pierre sich verwandelt hatte. Sie wollte schreien und weinen zugleich. Die Angst um Pascal machte sie wahnsinnig.
„Nein“, flüsterte sie in den Raum hinein. „Pascal … wo bist du? Ich sehe dich nicht mehr.“
„Er ist hier“, antwortete die raue Stimme Pierres.
Sie hörte, wie er mit der Klinge gegen die Steinwand schlug, als wollte er seiner Drohung Ausdruck verleihen. Aber gleich darauf geschah etwas Merkwürdiges. Sie konnte es zwar nicht sehen, war sich aber sicher, dass der Dolch seiner Hand entrissen und durch die Luft geschleudert wurde. Die Waffe blieb am Boden liegen. Das Pulsieren des Rubinschaftes erfüllte die Ritualstätte.
Jemand stöhnte, ein anderer keuchte, was von einem gedämpften Aufschrei begleitet wurde. Kampfgeräusche entstanden. Jemand rauschte an ihr vorbei.
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