Blutnächte - 2
Er fauchte. Isabella war verwirrt. Auch der Kreis der anderen Vampire, die bislang stumm in ihren Kutten dagestanden hatten, schien in Bewegung zu geraten.
Dann endlich flammte es hinter ihr hell auf. Goldene Strahlen durchbrachen die Dunkelheit. Als Isabella sich umdrehte, erkannte sie im Mittelpunkt der Lichtquelle einen großgewachsenen Mann. Sein langes pechschwarzes Haar fiel auf die breiten Schultern, und aus seinem kantigen Gesicht blickten sie grünfunkelnde Augen an. Sie streckte eine Hand nach ihm aus, als könnte sie ihn aus der Entfernung ergreifen.
Er schenkte ihr ein warmes Lächeln, das so gar nicht zu seiner sonst eher unterkühlten Miene passen wollte.
Isabella war überzeugt, diesen Mann zu kennen.
So ein Unsinn, rügte sie sich aber schon im nächsten Moment. Woher sollte sie ihn denn kennen?
Er sah sie wissend an, als hätte er ihre Gedanken gelesen. Was nicht weiter verwunderlich gewesen wäre, wie Isabella sich selbst sagte. Offensichtlich war er ebenfalls ein Vampir und strotzte nur so vor übernatürlichen Fähigkeiten. Hilflos wandte sie sich ab.
„Pascal“, wollte sie flehen, „hilf mir aus diesem Alptraum heraus.“ Aber Pascal lag wie tot am Boden. Die Ketten waren fort. Zurück blieben die vielen Wunden. Sein Körper war übersät davon. Blut klebte an seiner Haut, den Haaren und selbst an den Steinen, auf denen er ausgestreckt lag. Isabella stürzte zu ihm hinüber. Sie drehte ihn auf den Rücken, nahm sein Gesicht in beide Hände und streichelte ihn. Auf seinen Lippen hatte sich eine angetrocknete Blutkruste gebildet. Isabella beugte sich vor und küsste ihn, als könne sie ihm auf diese Weise wieder Leben einhauchen.
Dann tat sie etwas vollkommen Widersinniges. Sie fühlte nach seinem Puls.
Ein Schatten legte sich über sie. Lachen erschallte.
„Pierre“, presste sie hervor. All ihre Wut ballte sich zu einem einzigen großen Knoten zusammen und wollte auf der Stelle aus ihr herausplatzten. Sie schoss in die Höhe. Ihr Vorhaben, ihn zu verletzten, war jedoch von vornherein zum Scheitern verurteilt. Niemals hätte sie sich gegen einen Mächtigen der Finsternis – wie er einer war – wehren können. Ehe sie überhaupt einen Schmerzensschrei ausstoßen konnte, hatte er ihre Arme auf dem Rücken verdreht. Erneut hing sie wehrlos in seinen Klauen.
„Ich glaube, du hast unseren Besuch noch gar nicht begrüßt“, raunte er an ihrem Ohr.
Er zwang Isabellas Kopf in den Nacken, so dass ihr die Augen hervortraten. Sie stierte geradeaus zu den Gestalten, die sich ihnen allmählich näherten: Der Vampir mit den grünen Augen, neben ihm ein weiterer, beinahe ebenso düsterer Vertreter, der allerdings jemanden hinter sich zu schützen schien – und zwar eine blonde Frau.
„Wie schön, dass ihr gekommen seid, um meinen Triumph mitzuerleben.“ Pierre verhöhnte die drei ganz offen.
Er gab den anderen Vampiren ein Zeichen. Ihr Kreis schloss sich enger zusammen, doch die Eindringlinge erreichten sie nicht. Etwas hinderte sie am Vorankommen. Eine Art Kraftfeld, vermutete Isabella.
„Und jetzt gib mir den Dolch zurück!“, forderte Pierre den Düsteren auf. „Oder muss ich erst ungemütlich werden?“
Augenblicklich bohrten sich seine Zähne durch den Stoff in Isabellas Schulterfleisch. Vor Schreck brachte sie keinen Ton heraus. Sie zuckte nur schwach, überwältig von dem brennend heißen Gefühl, das ihren Körper durchströmte.
Pierre trank nur wenige Schlucke von ihr und schubste sie gleich darauf von sich, als wäre sie ein abgenutzter, toter Gegenstand. Sie fiel auf die Knie. Mit den Händen stützte sie sich vom Boden ab und versuchte wieder einen klaren Kopf zu bekommen.
~~~
Es war leicht gewesen, Pierre bei ihrem Eintreffen zu überrumpeln und ihm den Dolch abzunehmen. Aber ganz gleich, wie sehr Cedric sich nun dagegen sperrte, es bereitete ihm Schmerzen, Isabella unter dem Einfluss des abtrünnigen Vampirs leiden zu sehen. Die Wunde in seiner Schulter pochte. Er musste sich zur Ruhe zwingen. Trotzdem ging seine Atmung stockend. Er bildete sich ein, dass sein innerlicher Aufruhr für jedermann gut sichtbar sein musste. Als er schließlich noch Isabellas wehleidigen Blick auffing, drohte etwas in ihm zu zerbrechen.
„Deine Tage in unserer Mitte sind gezählt, Pierre.“
Aber der spuckte daraufhin nur aus. Mit erhobenem Haupt näherte er sich Cedric und seinen Begleitern.
„Das hast du schon immer gewollt, oder nicht? Du wolltest mich schon damals wieder
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