Blutnebel
erneut umgezogen sein. Hat sie Ihnen irgendwie mitgeteilt, warum?«
Die Tränen flossen nun wieder schneller. »Ich dachte, es sei genug Zeit vergangen, verstehen Sie? Dass sie vielleicht darüber hinweg… über alles hinweggekommen ist. Zuerst hatten wir ein richtig gutes Gespräch, und es schien fast, als wäre zwischen uns alles wieder im Lot. Aber als ich ihr gesagt habe, dass Quinn und ich heiraten wollen, hat sie aufgelegt. Und wie oft ich seither auch versucht habe, sie zu erreichen, sie ist nicht rangegangen.«
»Hat sie gedroht, Ihnen Ärger zu machen?« Es hatte seine Gründe, warum sie sich bei Mordfällen immer zuerst unter den Angehörigen umsahen. Jemanden zu erwürgen bedurfte einer gewissen Leidenschaft. Und die Gefühle waren am intensivsten bei denen, die das Opfer kannten.
»Nein, so etwas würde sie nie tun.« Sarah schnäuzte sich erneut und musterte Ramsey mit wässrigen Augen. »So war Cassie nicht. Sie wurde nur ganz still, und dann hat sie aufgelegt.«
»Sarah, wir werden tun, was wir können, um den Mörder Ihrer Schwester zu finden. Und ich weiß, dass Sie Ihr Möglichstes tun werden, um uns zu helfen.« Ramsey fing Rollins’ warnenden Blick auf, doch der war unnötig. Sie wusste, wie sie den Angehörigen die Informationen abluchsen konnte, die sie brauchte, ohne dass diese das Gefühl bekamen, sich einen Anwalt besorgen zu müssen. Als die Frau ruckartig nickte, fuhr sie fort: »Wir werden mit jedem sprechen, der Ihre Schwester kannte, und allen dieselben Fragen stellen, die ich auch Ihnen stelle. Wir wollen uns ein Bild von ihren letzten Stunden machen.«
Sarah Frost nahm sich ein frisches Kleenex und wischte sich die Augen, wobei sie ihre Wimperntusche noch schlimmer unter den Lidern verschmierte. »Aber niemand von meinen Freunden hat mit Cassie gesprochen, seit sie weggezogen ist.«
»Sie wurde zuletzt am fünften Juni um drei Uhr morgens gesehen. Nur der Routine halber – wo waren Sie zwischen dem Fünften und dem Sechsten dieses Monats?«
Die Frau hörte auf, erfolglos an ihrem zerstörten Augen-Make-up herumzuwischen, und warf Ramsey einen scharfen Blick zu. »Was soll die Frage? Meinen Sie damit etwa, dass ich …«
»Ich meine damit lediglich, dass Sie uns dabei helfen wollen, den Mord an Ihrer Schwester aufzuklären«, warf Ramsey ein und nahm damit dem Zorn der Frau die Spitze. »Wir werden jedem, der sie gut gekannt hat, die gleiche Frage stellen und dann die Angaben überprüfen. Und wenn wir denjenigen gefunden haben, dessen Geschichte nicht stimmt, bohren wir genauer nach. So läuft das, Sarah.«
In Sarahs Kehle ruckte es, und sie fixierte ihre Hände, die sie fest ineinander verschlungen im Schoß hielt. »Quinn und ich … wir waren an dem Wochenende auf unserer Verlobungsparty. Wir haben uns mit Freunden für ein paar Tage am Pine Lake eingemietet.« Ihre Stimme wurde leiser, als sei ihr der Gedanke gerade erst gekommen. Ramsey konnte die abgrundtiefe Trauer von ihrer Miene ablesen. »Wollen Sie etwa sagen … dass meine Schwester ermordet wurde, während wir unsere Verlobung gefeiert haben?«
»Tja, so sieht’s aus, wenn einen das schlechte Karma hinterrücks überfällt.« Glenn Matthews durchbrach das Schweigen, das eingetreten war, nachdem Ramsey ihm und Warden Powell von ihrem Gespräch mit Sarah Frost erzählt hatte.
Es ging auf zehn Uhr abends zu. Erst vor zwei Stunden waren sie ins Motel zurückgekehrt. Nach der Szene im Vorraum der Leichenhalle war Ramsey nach Kordoba gefahren, um sich zu den dortigen Polizisten zu gesellen, die die Einheimischen über Cassie Frost befragten, allerdings mit bemerkenswert geringem Erfolg.
»Ich habe eine Liste der anderen Leute, die auf der Verlobungsfeier waren, mitsamt Namen und Adressen, und auch die Daten der Mitarbeiter in dem Hotel, wo sie sich laut Sarah Frost aufgehalten haben.« Ramsey schlug Matthews die Hand weg, als er sich das letzte Stück Pizza schnappen wollte. Sie hatte den ganzen Tag noch nichts gegessen, während sich Matthews praktisch im Alleingang das gesamte Teil einverleibt hatte.
»Wir müssen den Exverlobten genauer unter die Lupe nehmen«, warf Powell ein, während er missmutig an einem Sandwich kaute. »Ehemänner und Lebensgefährten stehen bei einem Mord wie diesem immer ganz oben auf der Liste.«
Ramsey nickte. Doch sie hätte wetten können, dass Quinn Sanders ein wasserdichtes Alibi für den fraglichen Zeitraum vorweisen konnte. Kordoba lag in einem anderen Bundesstaat als Pine
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