Blutnebel
um elf bei jemandem anzuklopfen. Doch ihr dringender Wunsch, mit Stryker zu sprechen, ließ sich einfach nicht unterdrücken.
Wobei die Ironie daran nur schwer zu ignorieren war …
Falls er sich wunderte, sie zu sehen, so ließ er es sich zumindest nicht anmerken. Er betrachtete sie ernst, während er sich mit einer Hand an den Türrahmen stützte. Und sie durchzuckte der flüchtige Gedanke, dass er bereits wusste, was sie hierhergeführt hatte.
»Das Licht ist an, weil ich noch wach bin.« Er stieß die Fliegentür auf, und nach kaum merklichem Zögern betrat Ramsey das Haus.
Es war nicht seines. Das hätte sie sofort erkannt, selbst wenn sie es nicht von dem Mann erfahren hätte, der gerade in der Straße seinen Hund ausgeführt und ihr den Weg hierher gewiesen hatte. Rein gar nichts an den abgenutzten Ledermöbeln oder den Stichen mit Tierszenen an den Wänden wies einen Bezug zu Strykers Persönlichkeit auf. Allerdings gab es viele gerahmte Fotos, auf denen sein berühmtes Grinsen zu sehen war. Auf einem Tisch in der Ecke des Esszimmers stand ein Computer, umgeben von Blättern mit handschriftlichen Notizen und Bücherstapeln. Auf dem Fußboden vor ihr lag eine vertraute Ansammlung von Fototaschen und Stativen.
Sie musterte die Gegenstände und suchte nach Worten, die nicht sarkastisch klingen würden.
»Ah … Sie sind also noch am Arbeiten?«
»Ich hab zumindest mal angefangen und Namen und Daten aus Donnelles Erzählungen notiert. Und mich gefragt, ob die jüngsten Ereignisse wohl diesmal irgendwelche Aktivitäten auf dem Friedhof nach sich ziehen werden.«
Ramsey war nicht oft um Worte verlegen. Doch jetzt rang sie darum, nicht gleich mit dem herauszuplatzen, was sie im Sinn hatte. Vor allem, da sie wusste, dass es für ihn ein schmerzliches Thema war.
Seine Mundwinkel verzogen sich leicht nach oben, doch das Lächeln reichte nicht bis zu den Augen. »Irgendwie hab ich Sie noch nie so betreten aus der Wäsche schauen sehen. Also haben Sie vermutlich irgendwelches Gerede über das letzte Mal gehört, als der rote Nebel hier gesichtet worden ist.«
Sie fixierte ihn. »Sicher ist Ihnen klar, was für einen Interessenkonflikt das für Sie bedeutet.«
Die Brauen in ehrlichem Erstaunen hochgezogen, verschränkte er die Arme vor der Brust. »Tatsächlich? Seh ich nicht so. Ich gehöre weder zu den Medien noch zur Polizei. Es spielt im Grunde keine Rolle, inwiefern ich vorbelastet sein mag. Das ist das Schöne daran, wenn man Geister jagt. Denen ist das alles ziemlich schnuppe.«
Sie schluckte den verbalen Köder nicht. »Wenn ich heute nicht vom Museum weggerufen worden wäre, hätten Sie dann zugelassen, dass Donnelle vom letzten Mord in Buffalo Springs erzählt? Obwohl das Ihren Vater belastet?«
Er bückte sich und begann die Fototaschen aufzumachen, die auf dem Fußboden lagen. »Das hätte sie nicht getan. Eine echte Südstaaten-Lady würde etwas so Unangenehmes niemals vor dem Sohn des Mörders ansprechen.«
Es war schwer zu sagen, wer von ihnen verblüffter war, als sie ihm sachte eine Hand auf den Arm legte. »Dev.«
Er hielt inne und sah sie an. Da erst ging ihr auf, dass sie ihn soeben zum ersten Mal beim Vornamen genannt hatte. Verlegen zog sie ihre Hand zurück.
Er holte tief Luft und erhob sich. »Ich wollte es Ihnen beim Mittagessen sagen. Hatte schon die ganze Zeit halb darauf gewartet, dass Sie mich danach fragen. Jetzt, wo erst der Mord passiert ist und sich dann noch Simpson umgebracht hat, herrscht natürlich kein Mangel an Gerede über die Todesfälle von damals.«
»Kann ich mir denken.« Selbst wenn bis vor einer Stunde noch nichts davon an ihr Ohr gedrungen war, wusste sie von früher her ganz genau, was in Kleinstädten ablief. Nichts konnte jemals ungeschehen gemacht werden. Nur sehr wenig wurde verziehen. Und nichts wurde vergessen. Jedes Mal, wenn der Klatsch neue Wellen schlug, entfernte sich die Nacherzählung einen weiteren Schritt von den Fakten und wurde zur neuen Wahrheit. Und damit, darin zu leben war das grausamste Leben, das man sich vorstellen konnte.
»Ich hol mir ein Bier. Möchten Sie auch irgendwas?« Ehe sie antworten konnte, schritt er schon durch das kleine Esszimmer in Richtung Küche. Langsam folgte sie ihm und ließ den Blick über die Fotosammlung an den Wänden und in den Regalen schweifen. Hätte man die Bilder chronologisch sortiert, hätte man Strykers Entwicklung im Lauf der Jahre verfolgen können, von einem flachshaarigen Kleinkind zu einem
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