Blutnetz
seinem Telegramm an Bell beschrieben. »Er hatte nicht mal eine Ahnung, was ihn schließlich erwischt hat.«
Bell, der um seinen Freund trauerte, bezweifelte das. Natürlich konnten auch die Besten ausgetrickst werden, aber Scully war stets so wachsam wie ein Schießhund gewesen, John Scully hatte mit Sicherheit gewusst, dass er zum Narren gehalten worden war. Leider zu spät, um sich zu retten. Aber Bell hätte gewettet, dass er es bemerkt hatte. Und selbst wenn es erst in dem Moment geschehen war, als er seinen letzten Atemzug gemacht hatte.
Harry Warren äußerte die Vermutung, die Frau, die man bei Scully gesehen hatte, werde die gleiche Rothaarige gewesen sein, die ihm schon in der Hip-Sing-Opiumhöhle aufgefallen war, als sich die Detektive zufällig begegnet waren. Die Beschreibungen der Zeugen im Grand Central Terminal waren zu allgemein. Eine hübsche Rothaarige - davon gab es in New York Sicherlich Tausende. Aber die Beschreibung ihrer Kleidung entsprach nicht der Kleidung der jungen Frau, die Harry in dem Spiel- und Drogenclub in Chinatown gesehen hatte. Auch war sie nicht so stark geschminkt gewesen.
Bell holte die spöttische Nachricht des Spions aus der Tasche und las sie noch einmal.
AUGE UM AUGE, BELL.
SIE HABEN SICH WEEKS VERDIENT,
DAHER ZÄHLEN WIR IHN NICHT MIT.
ABER FÜR DEN DEUTSCHEN
SIND SIE MIR ETWAS SCHULDIG.
Der Spion brüstete sich damit, dass sowohl Wecks als auch der Deutsche für seinen Ring gearbeitet hatten. Was Bell als ziemlich gewagtes Verhalten in einem Gewerbe wertete, in dem Diskretion Überleben bedeutete und Erfolge nur sehr zurückhaltend gefeiert werden sollten. Er konnte sich nicht vorstellen, dass der kühle Yamamoto Kenta oder der arrogante Abbington-Westlake eine solche Nachricht schreiben würden.
Der Spion schien außerdem ziemlich verblendet zu sein. Glaubte er denn tatsächlich, dass Isaac Bell und die gesamte Van Dorn Agency seinen Angriff ignorieren würden? Er bettelte ja geradezu um einen Gegenangriff.
Bell begab sich für die zweite Sitzung in den Speisewagen.
Die Tische waren jeweils für vier oder zwei Personen gedeckt worden, und es war üblich, dass man sich dort niederließ, wo sich ein freier Platz befand. Er sah, dass Bennett und seine Chinesen an ihrem Vierertisch einen freien Stuhl hatten. Wie auch schon im Panoramawagen unterhielt sich der geistreiche Schriftsteller mit den Gästen an den umstehenden Tischen, während seine chinesischen Schutzbefohlenen still bei ihm saßen. Der Deutsche speiste mit abweisender Haltung, während der amerikanische Handelsvertreter, der ihm gegenübersaß, vergeblich versuchte, ein Gespräch in Gang zu bringen. Der Australier saß an einem anderen Zweiertisch und redete eindringlich auf sein Gegenüber ein, einen Mann, der gekleidet war, als könne er es sich leisten, eine Goldmine zu kaufen. An einem weiteren Zweiertisch unterhielt sich Laurence Rosania angeregt mit einem jüngeren Mann in einem eleganten Anzug.
Bell drückte dem Speisewagenchef einen Geldschein in die Hand. »Ich hätte gern den freien Platz an Mr Bennetts Tisch.«
Aber während ihn der Wagenchef zum Tisch des Schriftstellers geleitete, hörte Bell den Ruf eines anderen Gastes von einem Tisch, an dem er soeben vorbeigegangen war.
»Bell! Isaac Bell. Hab ich doch richtig gesehen, dass Sie es sind.«
Der Juwelenhändler Erhard Riker erhob sich an seinem Tisch, tupfte sich mit einer Serviette den Mund ab und streckte eine Hand aus. »Schon wieder ein Zufall, Sir? Offenbar wiederholt sich das bei uns. Sind Sie allein? Wollen Sie mir Gesellschaft leisten?«
Die Chinesen konnten warten. Laut Passagierliste reisten sie weiter nach San Francisco, während Riker am Morgen in den Atchison, Topeka und danach in den California Limited der Santa Fe Railroad umsteigen würde.
Sie schüttelten sich die Hände. Riker deutete einladend auf den leeren Stuhl ihm gegenüber. Bell setzte sich.
»Wie läuft die Juwelenjagd?«
»Ich biete für einen Smaragd, der einer Königin gebührt. Oder vielleicht sogar einer Göttin. Er sollte auf mich warten, wenn ich nach New York zurückkomme. Man kann nur hoffen, dass er der Lady gefallen wird«, fügte er lächelnd hinzu.
»Wohin sind Sie unterwegs?«
Riker ließ den Blick in die Runde schweifen, um sich zu vergewissern, dass sie nicht belauscht wurden. »San Diego«, flüsterte er. »Und Sie?«
»San Francisco. Was gibt es in San Diego?«
Abermals schaute sich Riker um. »Pinkfarbene Turmaline.« Er
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