Blutorks 1 - Frenz, B: Blutorks 1
anpassen konnten. Trotzdem musste er sie mit der Hand abschirmen, als er in die grelle Sonne trat. Um ihn herum wirkte alles wie ausgestorben. Nur eine einzelne Eidechse wieselte über die vor ihm liegende Steinterrasse und verschwand in einem engen Felsspalt. Urok wusste, dass seine Ankunft längst bemerkt worden war. Deshalb kündigte er sich auch nicht durch lautes Rufen an, wie es das Ritual verlangte, sondern stapfte unverdrossen weiter.
Die vor ihm liegende Steigung wies eine Reihe von Abstufungen auf, die viel zu gleichmäßig verliefen, um zufälligen Ursprungs zu sein. Bearbeitungsspuren von Hammer und Meißel waren allerdings nicht auszumachen. Man brauchte vermutlich kein Ork zu sein, um zu erkennen, dass sich das Blut der Erde an dieser Stelle nach Vurans Wunsch geformt hatte oder nach dem seiner Stellvertreter, die in seinem Namen wirkten.
Den Hütern des Hortes.
Während Urok die letzten Stufen bewältigte, frischte der Wind auf. Über ihm erklang ein hartes Flattern, das typische Geräusch, mit dem sich wehende Stoffbahnen in einer scharfen Böe zu strecken begannen. Oben auf der Terrasse angekommen, wurden sie auch schon sichtbar – die Standarten der vereinten Stämme von Arakia. Jedes der roten Banner, die dort wehten, war in einer anderen Schattierung gefärbt, die einen ganz bestimmten Clan symbolisierte.
Überall in den Felsen ragten sie empor. Scheinbar willkürlich verteilt wie durch die Hand eines achtlosen Riesen. Trotzdem stand ein jedes genau an seinem bestimmten Platz. Und wenn sich das Muster, nach dem sich die Banner rund um den Eingang gruppierten, auch nicht jedem Besucher sofort erschloss, so gab es doch keinen, den der Anblick nicht beeindruckte. Denn unterschwellig war sie für jeden zu spüren, die unsichtbare Ordnung, die dem Wesen der Orks entsprach. Rau und ungezügelt auf der einen Seite, aber auch voller Wärme und im Einklang mit dem Blut der Erde.
Es waren massive, für grobe Orkhände gedachte Tragestangen, die kerzengerade in den Himmel wuchsen und in verschnörkelten Spitzen
endeten. Auch die einfachen Querstäbe, von denen die Banner herabhingen, mündeten links und rechts in gedrechselten und geschwungenen Verzierungen. Meist waren es nur Nuancen, in denen sich die Feldzeichen unterschieden. Lediglich die Standarte des Heiligen Horts wies einen markanten Unterschied auf, der sie deutlich von den anderen abhob. Unterhalb ihrer Spitze prangte noch ein mit durchgehenden Speichen verstärkter Holzring, der das Rad des Feuers symbolisierte.
»Da bist du ja endlich!« Hinter der natürlichen Felseinfassung, die den Eingang umgab, tauchte ein Gesicht auf. »Ich dachte schon, du wärst unterwegs eingeschlafen.« Kupferfarbenes, nach Art der Orks durch einen Zopf gebändigtes Haar machte schon von weitem deutlich, wer ihn da neckte.
Ohne den Spott zu erwidern, überwand Urok die zwanzig Orkschritte, die ihn von der nächsten Felstreppe trennten, und stieg auch diese empor. Diesmal waren die Stufen so steil, dass der Sack mit Ragmars Schädelhälften, den er am Gürtel trug, bei jedem Schritt heftig gegen seinen linken Oberschenkel prallte. Die flatternden Banner untermalten das knöcherne Klappern mit einer klagenden Melodie, doch Urok fehlte die Muße, genauer hinzuhören. An der Lücke in der Einfriedung angekommen, schlug ihm seine Schwester sofort mit großer Wucht zwischen die Schulterblätter. »Na, kleiner Brummbär! Was hast du bloß wieder angestellt?«
Grünohr! Brummbär! Er musste dringend noch ein paar Menschen erschlagen, damit diese Kosenamen endlich der Vergangenheit angehörten.
Mürrisch drehte er sich zu Ursa um, die auf einem natürlich wirkenden Felsvorsprung saß. Vom Scheitel bis zu den Oberschenkeln war sie das Paradebeispiel einer vitalen Orkfrau. Groß gewachsen, vor Kraft strotzend, mit ausladenden Brüsten und einer breiten, fleischigen Nase, wie sie jeder Mann mit gutem Geschmack zu schätzen wusste. Unterhalb der Knie sah es von Geburt an anders aus. Ganz anders. Ihre kleinen, nach innen verdrehten Füße vermochten den mächtigen Leib ebenso wenig zu tragen wie die verkümmerten
Waden, die praktisch nur aus Haut und Knochen bestanden. Selbst die dicke, von den Kniescheiben bis zu den Fußspitzen mit Schleifspuren übersäte Lederschürze konnte die fehlende Muskulatur nicht verbergen. Doch was Ursa an Beinkraft fehlte, machte sie durch andere Begabungen wieder wett. Der Weg in die Priesterschaft war ihr praktisch mit in die Wiege gelegt
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