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Blutportale

Blutportale

Titel: Blutportale Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Heitz
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diese grauenhafte, ganz und gar nicht zusammenpassende Mischung aus starkem Essig und Bittermandel, auf ihrer Zunge vor.
    Sie starrte und starrte, ohne dass etwas geschah, weder in ihrem Mund noch mit der Schachtel. Saskia senkte die Lider, stieß laut den Atem aus und lockerte die Nackenmuskeln. So lief es anscheinend nicht. Aufgeben kam aber nicht in Frage.
    Sie blickte wieder zum Tisch und versuchte es erneut. Ergebnislos.
    Verzweiflung stieg in ihr auf. Sie hatte Angst vor ihrer Gabe, und das war nicht gut. Ebenso gut könnte sich der beste Reiter der Welt vor Pferden fürchten.
    »Geh auf, verdammt!«, fluchte sie - und plötzlich war der Geschmack da! Gleichzeitig roch sie heißes Wachs. Alles wurde grau ... und die Schachtel lautlos auseinandergerissen. Tabakkrümel, Filter und Papierfetzen verteilten sich im ganzen Zimmer. Dann bekam der Holztisch mit einem Knacken einen Riss, die Schublade unter der Platte schoss mit hoher Geschwindigkeit hervor.
    »Scheiße!« Saskia merkte, dass die Gabe sich nicht so einfach abschalten ließ. Essig, Wachs und Bittermandel fielen über ihre Nase und den Mund her. »Aufhören!«
    Will rappelte sich hoch. »Was ...«
    Alle Schränke und Schubladen um Saskia herum öffneten sich, der Inhalt der Minibar flog heraus, die Flaschen gingen auf, die Verpackungen der Knabbersachen detonierten stumm. Kissen zersprangen und verteilten ihre Nylonfüllung. Sogar die Fenster schwangen auf, so dass eiskalte Winterstadtluft hereinströmte. Ein Regalbrett schoss aus dem einen Schrank und traf Will am Kopf, der stöhnend zu Boden sank.
    Die Tür zum Bad wurde ruckartig aufgerissen, Justine stand auf der Schwelle, die Pistolen in den Händen. Sie sah das Chaos und Saskias unglücklichen Gesichtsausdruck. »Quelle merde«, konnte Justine gerade noch fluchen, bevor sie aufschrie und auf die Knie sank. Ihre Finger ließen die Waffen los, sie krümmte sich auf dem Teppich zusammen. Saskia blieb erstarrt sitzen, die Hände nun in die Lehnen gekrallt. Was richtete ihre Gabe an? Sie durfte nicht zulassen, dass Justine etwas zustieß!
    Sie schloss die Augen, drängte die Angst zurück, besann und sammelte sich, wie sie es vor ihren Duellen getan hatte; darin besaß sie unerschütterliche Routine. Ruhig. Konzentrier dich! Der Geschmack verschwand so schnell aus ihrem Mund, wie er gekommen war. Saskia öffnete die Augen.
    Will hatte sich inzwischen auf die Füße gestemmt und ging gerade neben der Französin in die Hocke. »Justine?« Er hob sie an.
    Sie atmete rasch, ihre Augen waren weit aufgerissen, und sogar Saskia konnte auf zwei Meter Abstand den drohenden Wahnsinn darin erkennen. »L'enfer«, stammelte Justine immer wieder, »l'enfer«, bis ihr Will eine Ohrfeige verpasste, die sie verstummen ließ. Der Blick klärte sich allmählich, ihr Körper entspannte sich. Sie schaute mit Entsetzen zu Saskia hinüber.
    »Du ... du hast meine Erinnerung geöffnet«, erklärte sie leise. »Die Erinnerungen an die Qualen. Sie wirkten ... sie wirkten so echt! Als wäre ich wieder bei ihm.« Die Stimme brach, und sie zitterte. »Bei ihm.«
    Will half Justine beim Aufstehen. Sie wankte unsicher zurück ins Bad und zog die Tür hinter sich zu; gleich darauf hörten sie ein lautes Schluchzen.
    Saskias schlechtes Gewissen wurde unerträglich. Diese coole Wandlerin, die abgebrühteste Frau, die ihr je begegnet war, hatte sich durch ihre Gabe in ein Häufchen Elend verwandelt. Sie hätte sie ebenso gut aus Versehen töten können.
    Will sah sich im Zimmer um, mit dem Fuß schob er Erdnüsse zur Seite.
    »Ich ...«, bekam Saskia noch heraus, dann löste sich die Anspannung in einem Heulkrampf. Sie ließ es zu, dass er auf sie zukam und sie in die Arme nahm; weinend versuchte sie, ihm zu erklären, dass es keine Absicht gewesen war, dass sie hatte üben wollen, dass sie üben musste, um solche Vorfälle zu verhindern, aber sie bekam kaum mehr als ein paar zusammenhanglose Worte heraus. Stattdessen genoss sie sein beruhigendes Streicheln über Kopf und Nacken und klammerte sich an ihn.
    Levantin schaute aus dem Chrysler und beobachtete, wie der Professor aus dem Haus kam und in das wartende Taxi stieg. Er wusste, dass der Arzt seinen Schützlingen neue Pässe gebracht hatte. Langhans, Smith, Montagne. Anscheinend liefen Vorbereitungen für eine Reise. Das wiederum bedeutete, dass er ebenfalls die Koffer packen lassen musste. Wo das Trio war, wollte auch er nach Möglichkeit sein, um ihnen den Rücken freizuhalten, bis

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