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Blutportale

Blutportale

Titel: Blutportale Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Heitz
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neuerliche Begegnung mit der frechen Französin hatte; noch war nicht bewiesen, dass Wills Vision stimmte. Aber die Beklemmung ließ sich nicht so einfach abschütteln.
    Über dem See schwebte ein zarter Nebelflaum. Die hochstehende Sonne hatte den dichten Dunst des Morgens zum Verschwinden gebracht. Sie näherten sich dem südlichen Ufer unterhalb des Selenga-Deltas, ihrem ersten Ziel.
    »Wir gehen da drüben an Land«, verkündete Will und deutete auf die Anlegestelle. Er kniff die Augen zusammen, weil er einen Bus entdeckt hatte, der dort wartete. »Von da fahren wir nach Posolsk. Ich hoffe mal, der fährt dorthin.«
    »Das tut er bestimmt.« Saskia deutete nach Steuerbord, wo sich ein schwerfälliger Kahn mit reichlich Tiefgang näherte. An Deck standen ein paar dick eingepackte, vermummte Gestalten, im Innenraum befanden sich zahlreiche Menschen, die gerade im Begriff waren, aufzustehen, und hinter den Deckfenstern waren Autodächer zu erkennen. »Wir sind vor ihnen da. Und ich wette, dass ein paar von den Passagieren nach Posolsk wollen.«
    »Posolsk?«, sagte Herrmann und zeigte auf den Bus. »Da!«
    »Tres bien«, murmelte Justine und lächelte. »Dann stehen wir ja gleich vor unserem ersten Artefakt.« Sie langte neben sich und nahm die braune Pelzmütze von der Bank. Sie hatte sie vor dem Hotel gekauft, und mit der Mütze auf dem Kopf sah sie noch mehr wie ein Model aus. Will schwieg und wollte ihren Optimismus nicht laut in Zweifel ziehen. Er starrte nach vorn, auf die Landungsstelle. Aber sosehr er sich auch auf die bevorstehende Aufgabe konzentrieren wollte, immer wieder schweiften seine Gedanken ab - und zu dem Portier in ihrem Hotel, dessen Tod er vorhergesehen hatte.
    Saskia sah ihn besorgt an. »Ist was?«
    »Nein«, antwortete er rasch und biss sich auf die Lippe. Es klang dermaßen nach einer Lüge, dass er seufzend die Wahrheit hinterherschob. »Doch. Die Schicksale von Eugen und dem Rezeptionisten. Bei Eugen habe ich nichts unternommen, weil ich noch die Hoffnung hatte, nicht die Wahrheit zu sehen. Heute bin ich fest davon überzeugt. Die Frage, die sich damit stellt, ist: Habe ich die Pflicht, diese Dinge zu verhindern?«
    Saskia atmete tief ein. »Ich weiß es nicht. Und ... und vielleicht musst du dir noch eine ganz andere Frage stellen: Wenn du ihren Tod verhinderst, wenn du in ihr Karma eingreifst, oder wie man das nennen mag, änderst du dann den Verlauf der Geschichte, wie er sein soll ... und vielleicht sogar sein muss?«
    Will drehte sich erstaunt zu ihr um. »Meinst du?« Das hatte er nicht in Erwägung gezogen. »Es macht Sinn«, schaltete sich Justine ungefragt ein. »Eugen war es bestimmt, zu sterben. Du hattest damit nichts zu tun.« Sie erhob sich, weil sie sich zum Anlegen bereitmachten. »Aber stell dir vor, du hättest ihn gerettet und er ... wäre mit seinem Auto am nächsten Tag in eine Schulklasse gerast?«
    Will verzog den Mund.
    »Was ich damit sagen will«, fuhr Justine fort, »ist, dass du Besseres zu tun hast. Lass den Dingen ihren Lauf und denk an deine Aufgabe.« Sie steckte sich eine Zigarette an. »Die ist wichtiger als Eugen, der Rezeptionist oder unser netter Herrmann hier.«
    Der Russe sah die hübsche Französin erfreut an, als er seinen Namen hörte, und sie lachte. Er stimmte ein.
    Saskia legte Will eine Hand auf den Rücken. »Sie hat recht, auch wenn ich es nicht so brutal formuliert hätte«, räumte sie ein. »Es kann sein, dass du die Schicksale vieler Menschen sehen wirst, bis wir den Bann gebrochen haben.«
    Will seufzte und blickte in ihre graugrünen Augen. Gern hätte er die Hand ausgestreckt und ihr Gesicht berührt.
    Herrmann half ihm dabei, ohne von seinem Verlangen zu wissen: Er steuerte das Schnellboot in eine Kurve, um einen günstigeren Winkel zum Anlegen zu bekommen. Der abrupte Wechsel brachte Saskia aus dem Gleichgewicht, und Will breitete die Arme aus, um sie aufzufangen. Ihre Gesichter streiften sich, er spürte ihre warme Haut an seiner ... ein wunderschönes Gefühl! In einem Reflex hielt sie sich an ihm fest - und verharrte ein paar Sekunden länger, als nötig gewesen wäre, bevor sie sich wieder von ihm trennte.
    »Danke«, sagte sie, nicht verlegen - im Gegensatz zu Will.
    »Gern geschehen.« Er bemerkte, dass er einen roten Kopf bekam. Es war ein anderes Festhalten gewesen als gestern Abend. Kein Trostspenden.
    Justine warf ihm einen süffisanten Blick zu, der eindeutig belegte, dass sie seine Schwäche für Saskia bemerkt hatte.

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