Blutportale
aufrechterhaltene Konzentration. Der See war befreit. Sie hörte das Tosen der einbrechenden Schneise, Wasser prasselte auf sie nieder. \ Saskia schaute schwer atmend unter ihrem Arm hindurch nach hinten und sah, dass die Bresche sich schloss - und eine Woge die künstliche Wasserschlucht entlanggeschossen kam!
Sie hatte nicht mehr die Kraft, sich aufzurichten, also klammerte sie sich an den Schwertgriff und wartete darauf, von der schäumenden Welle erfasst zu werden. Schon war der befreite See heran und umschloss sie, schleuderte sie davon und trieb sie vor sich her wie ein Korken. Er schien seine Wut über den ihm auferlegten Zwang an der Schuldigen auslassen zu wollen. Mal befand sich Saskia unter, mal über der Oberfläche, sie schluckte und hustete, holte Luft, hielt sie an und verlor den Überblick, was mit ihr geschah. Die Kälte raubte ihr jegliches Schmerzempfinden. Schließlich schrammte sie über Steine, wurde vehement eine Böschung hinaufgerollt - und lag auf festem Boden.
Der Bittermandelgeschmack war vergangen, die Nase leicht verstopft, aber sie roch Feuchtigkeit, Schlamm und Blut. In ihrer Hand hielt sie noch immer das Schwert. Saskia konnte sich nicht rühren. Sie zitterte, klapperte vor Kälte und Schock mit den Zähnen und fühlte sich müde, so unendlich müde ... Gleichzeitig ahnte sie, dass sie nicht mehr erwachen würde, wenn sie jetzt einschlief.
Saskia zwang sich dazu, die Augen zu öffnen und sich aufzurichten. Vor ihr lag der Baikalsee. Ihr Eingriff hatte ihn aufgewühlt, die Wellen schlugen noch immer hoch gegen das Ufer. Die Woge hatte sie weit nach oben getragen, und als sie an sich herabblickte, entdeckte sie zahlreiche Schürfwunden durch ihre zerfetzte Kleidung. Das Brennen setzte erst langsam ein, die kalte Haut war noch zu betäubt.
Saskia schaute nach rechts und links, um sich zu orientieren. Sie war etwa dreihundert Meter vom umgestürzten Transporter an Land gespült worden, das Ufer war übersät mit Ästen, Zweigen, zerschlagenen Bootsrümpfen und anderem Treibgut, das aus der Tiefe des Sees nach oben geschleudert worden war. Möwen kreisten aufgeregt über ihr. Auf der höhergelegenen Straße hatten zahlreiche Autos angehalten, Schaulustige säumten die Leitplanken und hatten das einmalige, unbegreifliche Schauspiel verfolgt.
Saskia spuckte aus und stemmte sich auf die Beine. Zu ihrer Linken lag ein alt aussehendes Buch mit kyrillischem Aufdruck. Hatte es dem Mönch gehört? Intuitiv griff sie danach; dann taumelte sie zum Transporter, um nach Will zu sehen.
Immer wieder sah sie sich um, hoffte inständig, eine Spur von Justine zu entdecken, doch sie konnte weder sie noch die Fähre ausmachen.
Saskia fürchtete sich vor dem Gedanken, dass sie mit ihrer Gabe zwar sich gerettet, aber zahlreiche andere Leben genommen haben könnte. In ihrer Vorstellung rasten Riesenwellen die Strände des Sees hinauf, brachten Schiffe zum Kentern und richteten Verwüstungen in Häfen an. War es das wert gewesen?
Will öffnete die Augen und erkannte den prunkvollen Raum, in dem er sich befand, sofort wieder: Es war der aus seiner ersten Vision! In diesem Palazzo hatten sich die beiden Patrizier unterhalten, bevor sie lachend die Pestphiole geleert hatten.
Er sah an sich herab und fand sich im Körper eines offensichtlich wohlhabenden Mannes wieder. Als er den Anhänger um seinen Hals bemerkte, wusste er, dass er auch dieses Mal in einen Dämonendiener gefahren war. Schon wieder einer von den Bösen.
Will saß an einem Tisch; auf dem Teller lagen verschiedene gebratene, stark gewürzte Fische. Es roch vor allem nach Pfeffer. Er kostete von dem Wein und verzog das Gesicht: ein herbes und für seinen Gaumen kaum ausgereiftes Getränk.
Es klopfte, und ein Diener betrat den opulenten Raum. »Herr, Capitano Rastani möchte Euch sehen.«
»Herein mit ihm«, befahl Will und merkte, wie er eine Hand an den Rapiergriff legte. Die Waffe, mit der Saskia normalerweise ihre Duelle bestritt. War das eine Ironie des Schicksals? Durch die geöffnete Tür trat ein Mann in einem schwarzen Gewand, beigen Pumphosen und dunkelgrünen Strümpfen. Seine Füße steckten in Schnabelschuhen mit hochgebogenen Spitzen. Um Brust und Rücken trug er einen polierten Eisenharnisch, unter dem rechten Arm hielt er seinen Hut eingeklemmt. Auch er war sicherlich vermögend, und Will glaubte sich zu erinnern, dass ein Capitano Befehlshaber von Fußtruppen war.
Nach zwei Schritten in den Raum blieb der Besucher stehen
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