Blutprinz (German Edition)
heiße Tee schwappte über den Tassenrand, lief über ihre Finger und tropfte auf die Couch. Behutsam stellte sie den Tee auf den Tisch und schlich in den Flur. Erneut klopfte es. Mit Pfefferspray bewaffnet näherte sie sich der Tür. Sie schob die Abdeckung des Spions beiseite. Ihr nächtlicher Besucher hatte sich nicht die Mühe gemacht, das Licht anzuknipsen. Natalie sah nur graue Umrisse. Mit dem nächsten Klopfen gab sich der Mann zu erkennen.
„Natalie, ich bin es, André. Ich weiß, dass Sie da sind. Bitte machen Sie auf, ich muss mit Ihnen reden.“
Zögernd schloss Natalie die Tür auf, von einer Unsicherheit durchdrungen, ob sie ihren Sinnen nach den Erlebnissen in Andrés Wohnung noch trauen konnte. Aber als sie in Andrés Gesicht blickte, war es, als fiele die ganze Anspannung von ihr ab.
„Du …verzeihen Sie … ich meine, Sie sind es wirklich.“
„Schon gut“, sagte André. Er schaute in ihre Augen und konnte den Schmerz und ihre Verwirrung spüren.
„Ich musste mit dir reden. Was heute passiert ist, tut mir schrecklich leid. Wenn ich gewusst hätte …“
„Du kannst doch nichts dafür“, sagte Natalie.
Doch, aber das waren Dinge, die er ihr nicht erklären konnte. Er zog die Geldbörse aus der Sakkotasche und reichte sie ihr.
„Die brauchst du wohl nicht mehr?“, sagte er und legte ein Lächeln in seine Stimme.
„Nein, deshalb hab ich sie auch weggeworfen.“ Auch Natalie schien sich an einem Lächeln zu versuchen, doch so recht überzeugen konnte sie nicht. Sie nahm ihr Portemonnaie entgegen und legte es auf die Kommode. „Ich … ich hab die Polizei verständigt.“
„Mach dir keine Sorgen“, sagte André und versuchte, ermutigend zu klingen. „Ich kümmere mich um alles. Niemand wird dich in die Sache reinziehen.“
Obwohl das eine Lüge war, denn Natalie steckte schon mitten drin, ob er das wollte oder nicht. Und je länger er vor ihrer Tür stand, desto tiefer zog er sie in seine Probleme. Ein Moment des Schweigens verstrich, in dem sie einander ansahen. Er spürte, dass sie mit den Tränen kämpfte. Wut auf die Halbblüter strömte durch seine Venen und er schwor sich, jeden einzelnen von ihnen zu suchen und zu vollenden, was er vergangene Nacht begonnen hatte.
„Hast du Zeit für eine Tasse Tee oder Kaffee?“, fragte sie.
„Wenn es dir keine Umstände macht.“
Er hörte wie sich ihr Puls beschleunigte, als sie ihm die Tür aufhielt und sah wie ihr Blick über die Möbel huschte, als schäme sie sich für ihre Einrichtung. Dabei war es ihm egal. Im Wohnzimmer nahm sie ein Tablett vom Couchtisch und eilte damit in die Küche. Andre ging durch das Zimmer, betrachtete die Bilder über dem Fernsehapparat und ihre Bücher im Regal. Er spürte ihren Blick. Warum war er ihrer Einladung gefolgt? Die Macht, die sie auf ihn ausübte, war ihm neu. Ihr Duft, der jeden Winkel dieses Raumes durchflutete, beschleunigte seinen Puls und machte es unmöglich, in ihrer Nähe einen vernünftigen Gedanken zu fassen und das, obwohl sie nur ein Mensch war. Er hatte sich vorgenommen von hier zu verschwinden, sobald das Portemonnaie überbracht war, doch er war schwach geworden. Selbst jetzt wagte er kaum zu atmen, aus Angst seine irrationalen Gefühle nicht mehr kontrollieren zu können, die nun noch viel stärker auf ihn eindrangen, als beim Frühstück. Warum quälte er sich überhaupt? Weshalb kämpfte er gegen dieses Verlangen an? Niemand würde es merken, niemand würde oder konnte ihn daran hindern, wenn er es wirklich wollte. Wenn er sie wollte. Seine Fänge pochten, schoben sich ein Stück aus dem Oberkiefer. Die Kehle fühlte sich trocken an, rau wie Sandpapier, erinnerte daran, wie lange es her war, dass er Blut aus einer Ader getrunken hatte.
Mit beladenem Tablett kehrte Natalie ins Wohnzimmer zurück, stellte es auf den runden Esstisch und bot ihm einen Platz an. Er blickte nicht sofort zu ihr, sondern nickte nur. Er mahnte sich zur Vorsicht, verdrängte das Verlangen, bis das Pochen nachließ und sich seine Eckzähne langsam wieder zurück schoben. Danach erst folgte er Natalies Bitte.
„Wie trinkst du deinen Kaffee?“
„Schwarz“, antwortete er und seine Stimme klang wie das Krächzen eines Raben. Er räusperte sich.
„Was hast du der Polizei gesagt?“, fragte sie ihn.
„Nur das Nötigste“, antwortete er knapp.
Dabei strich sein Blick über ihre Hände, folgte den Unterarmen, bis hoch zu ihren Schultern und ihrem Hals. Der Stoff ihres Pyjamas floss
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