Blutprinz (German Edition)
schlichtweg abgeschaltet. So richtig klar denken konnte sie immer noch nicht. Die Gedanken kamen und gingen. André hatte ihren Angreifer einen Assassinen genannt. Seltsamer Name für ein Wesen, das sie am ehesten als Werwolf bezeichnet hätte.
Der Weg zum Schloss führte durch einen gepflegten Park. Vom Wald, der die Liegenschaft wie ein grüner Mantel umgab, drängte Bodennebel, der durch die Gitterstäbe des Zaunes quoll und die Grundstücksgrenzen in weiche Watte bettete. Als wären der Park und das Schloss eine eigene Welt, die auf Wolken schwebte. André parkte auf dem Platz vor dem Schloss. Er lief um den Wagen herum und öffnete ihr die Autotür.
„Willkommen auf dem Anwesen meiner Familie“, sagte er und sie hörte Stolz im Klang seiner Stimme.
An jedem anderen Tag hätte sie die Architektur des alten Barockschlosses bewundert. Aber zu ihren Schmerzen gesellte sich nun noch ein Gefühl der Unzulänglichkeit. Ihr war nur zu sehr bewusst, wie verschieden ihrer beider Welten waren. Diese Erkenntnis nahm ihr ein weiteres Stück der stillen Hoffnung, dass André jemals ihr gehören würde. Vielleicht war dies der Grund, weshalb er so hin und her gerissen war und er hatte sie nur hierher gebracht, um ihr das Schloss und das Anwesen zu zeigen, damit sie verstand, weshalb er nicht bei ihr sein konnte. Vielleicht tat sie ihm auch Unrecht. Sie war einfach zu verwirrt und hatte das Gefühl, vor lauter Watte im Kopf nicht richtig denken zu können.
„Es ist schön, aber ehrlich André, was soll ich in diesem Schloss?“ Selbst das Sprechen kostete Kraft und strafte sie mit Übelkeit. „Kannst du mich nun bitte endlich in ein Krankenhaus bringen?“
Er seufzte tief, beugte sich vor und berührte ihre Schläfen. Sein trauriges Lächeln war das Letzte, was Natalie sah, bevor sie wieder in tiefe Dunkelheit sank.
Mühelos hob André den regungslosen Körper aus dem Wagen und trug ihn zum Schlosstor hinauf. Dabei strömte ihr süßer Duft in seine Nase, berührte einen Teil seiner Seele, den er längst vergessen glaubte, und schürte die Angst um sie. Die Schlosstore öffneten sich und sein Vater kam ihm entgegen.
„Du bringst sie hierher?“, fragte Bartolomeos verwundert. Sein Blick huschte über Natalies Gesicht. „Mein Gott, du hattest recht. Sie sieht fast so aus wie Alessandra.“
„Ich brauche deine Hilfe.“ André erzählte von dem Assassinen. „Wir müssen uns beeilen, ehe sich das Trugbild noch tiefer in ihren Verstand frisst.“
Bartolomeos hielt André die Tür auf. Sie brachten Natalie in einen kleinen Salon. André legte sie vorsichtig auf einen Diwan.
„Lass mich sehen.“ Bartolomeos beugte sich über Natalie. Seine knochigen Finger berührten ihre Schläfen. „Sie hat einen starken Geist“, sagte sein Vater. Mit geschlossenen Augen konzentrierte er sich ganz auf eine Verbindung. André sah, wie viel Kraft es Bartolomeos kostete und sein Körper vor Anspannung zuckte. „Ich sehe den Assassinen, sein Gesicht. Ich kenne ihn, es ist Jorog.“ Bartolomeos öffnete die Augen. Besorgnis spiegelte sich darin wieder. „Jorog gehört zu den ältesten unter den Assassinen, geboren aus dem Leib einer Wölfin. Du musst dich vor ihm in Acht nehmen.
„Er hat bereits Romain Valmont getötet“, sagte André.
Ein Schatten huschte über Bartolomeos Gesicht. „Dann ist er noch mächtiger als ich dachte, und er folgt den Befehlen deines Feindes, aus welchen Motiven auch immer.“
Er wandte sich wieder Natalie zu und drang in ihren Geist ein.
„Sie kommt zu sich“, hörte Natalie eine Stimme flüstern.
Sie spürte einen festen Druck auf ihren Schläfen. Langsam öffnete sie die Augen, sah zuerst noch helles Licht, dann starrte sie in ein entstelltes Gesicht und schrie, als sie glaubte, der Assassine sei zurückgekehrt.
„Du musst keine Angst haben.“
Die Stimme klang ruhig. André trat hinter dem entstellten Mann hervor, der über ihr gebeugt saß und ihre Schläfen massierte.
„Das ist Bartolomeos, mein Vater.“
Natalie bewegte ihre Gliedmaßen. Die Schmerzen waren verschwunden und die Brüche wie durch ein Wunder geheilt.
„Aber … aber … wie ist das möglich?“
„Es war nur ein Trugbild, das der Assassine in deinen Kopf gepflanzt hat“, erklärte der alte Mann. „Ich habe es aus deinem Geist gelöscht. Nun lasse ich euch beide allein. Meine Kräfte sind erschöpft.“
Natalie sah, wie er einen besorgten Blick mit André tauschte. Nachdem Bartolomeos verschwunden
Weitere Kostenlose Bücher