Blutrausch
Frischling.
– Genau. Du weißt ja, wie die Neuen so sind. Sie brauchen gute Betreuung. Klar, manche, wie du zum Beispiel, kapieren das Ganze auf Anhieb. Andere sind während der Anpassungsphase auf Unterstützung angewiesen. Und derjenige, von dem wir gerade reden, war mitten in seiner Anpassungsphase. Er hätte eigentlich gar nicht ohne Begleitung unterwegs sein dürfen.
– Okay.
– Aber vor ein paar Tagen ist er uns entwischt.
– Wann genau?
– Vor drei Tagen.
– Er war drei Tage lang untergetaucht?
– Ja, ja, ich weiß. Ziemlich ungewöhnlich für einen Frischling, oder?
– Also, was soll ich tun? Soll ich rausfinden, in welchem Loch er sich verkrochen hat? Das Problem aus der Welt schaffen? Klingt nicht nach dem Job, den ich im Moment brauche.
– Ich wüsste wirklich gern, wo er gesteckt hat. Aber das ist nicht deine eigentliche Aufgabe.
– Sondern?
– Du hast erzählt, dass er im Doc’s ausgeflippt ist. Tja, er war nicht der Erste.
– Tatsächlich?
Er fährt mit der Hand über seinen Kopf und versucht, ein paar widerspenstige Haarsträhnen zu bändigen.
– Anfang dieser Woche gab es eine ähnliche Situation. Ein weiterer Frischling, der einfach übergeschnappt ist. Er hatte sich eigentlich gut eingefügt und durfte seit einem Monat auf eigene Faust losziehen. Und dann ist er einfach... durchgeknallt. Kann man nicht anders sagen, fürchte ich.
– Was habt ihr mit ihm gemacht?
– Hurley war dabei.
– Ach so.
– Fall erledigt.
– Kann ich mir vorstellen.
Er zieht sich das Gummiband, das seinen Pferdeschwanz zusammenhält, aus dem Haar.
– Ja. Aber das war nicht alles.
Er sammelt sein Haar wieder ein.
– Nach allem, was man so hört, gibt es noch weitere Fälle.
Er fummelt so lange an dem Gummiband herum, bis er mit dem neuen Pferdeschwanz zufrieden ist.
– Und wenn mich nicht alles täuscht, sind diese Vorkommnisse nicht auf Sicherheitsmängel, sondern auf einen gewissen gesellschaftlichen Missstand zurückzuführen. Ich bin mir zwar nicht hundertprozentig sicher, aber ich glaube, unsere Gemeinschaft hat ein Drogenproblem.
Mit infizierten Junkies ist es so eine Sache. Entweder sie sind heilfroh, endlich vom Stoff los zu sein. Oder sie sind stinksauer, weil es auf einmal verdammt schwierig ist, richtig high zu werden.
Klar, das Blut ist ein absoluter Kick, der durch kaum etwas zu überbieten ist. Aber es ist eben keine Partydroge, die man sich eben mal so aus Vergnügen reinzieht. Dafür ist das Angebot zu niedrig und die Nachfrage zu hoch. Die paar Tausend von uns, die in Manhattan leben, brauchen pro Woche jeder etwa einen halben Liter Blut. Kaum jemandem gelingt es, ständig davon high zu sein. Wer unbedingt auf eine einwöchige Sauftour gehen will, wird durch die blutige Spur, die er hinterlässt, früher oder später Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Und dann wird sich entweder der örtliche Clan um den Unruhestifter kümmern, oder ein Unabhängiger, der scharf auf seine gehorteten Vorräte ist, oder ein Van Helsing. Wie auch immer, dauernd auf Blut zu sein, klappt nicht. Und damit haben die Junkies ein Problem.
Wenn sich ein Infizierter genug Heroin, Crack, Speed, Ecstasy, Special K, LSD oder weiß der Geier was in die Venen pumpt, wird er für kurze Zeit high. Aber kurz darauf schaltet sich das Vyrus ein und macht das Zeug in Windeseile unschädlich. Der gewöhnliche Junkie hat schon genug Probleme, seine tägliche Dosis aufzutreiben. Was, wenn er plötzlich den Stoff einer ganzen Woche braucht, nur um für eine halbe Stunde ins Traumland abzuschweben?
Dann greift er zu den üblichen Alternativen: Bleiche, Spiritus, Benzin, Formaldehyd, Klebstoff und Reinigungsmittel aller Couleur. Einmal habe ich einen Junkie gesehen, der so verzweifelt auf der Suche nach einem Kick war, dass er sich Frostschutzmittel in die Augen gespritzt hat. Hat zwar nicht besonders reingehaun, ihn aber eine Zeit lang mächtig abgelenkt. Im Großen und Ganzen halten solche Typen nicht besonders lange durch.
Aber mal angenommen, es wären große Mengen einer Substanz im Umlauf, die das Vyrus einfach umgeht und zuverlässig high macht? Das würde jeder von uns früher oder später mal versuchen.
Zeit hat man als Infizierter ja genug. Ein normaler Acht-Stunden-Job kommt nicht infrage. Ein geregeltes Leben mit gelegentlichen Kino- oder Restaurantbesuchen kann man vergessen. Sobald die Sonne aufgegangen ist, muss man die Zeit irgendwie totschlagen. Und alles, was einem dabei ein wenig
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