Blutrausch
Musik. Ich spähe erneut durch das Fenster in der Tür. Die Rhinos stehen noch immer da. Irgendjemand hat ihnen Kaffee und noch mehr Zigaretten gebracht. Ich setze mich wieder auf meinen Platz an der Wand.
Ich schließe die Augen, ohne zu schlafen. Für eine ziemlich lange Zeit.
Die Tür öffnet sich. Ich halte die Augen geschlossen. Jemand durchquert den Raum und kommt auf mich zu. Mein Daumen liegt auf dem silbernen Knopf an der Seite des Klappmessers. Wer auch immer es ist, er bleibt vor mir stehen. Ich rieche Babypuder und Bay-Öl-Aftershave.
– Das kann ich wieder hinbekommen.
Ich öffne die Augen.
– Gar kein Problem. Alles halb so wild.
Der einarmige Friseur steht vor mir.
– Was ist halb so wild?
– Die Scheißfrisur, die ich dir verpasst hab. Krieg ich schon wieder hin.
Ich fahre durch mein Haar.
– Ist schon okay.
– Nein, nein, überhaupt nicht. Du siehst scheiße aus. Aber das kriegen wir schon hin.
Die Tür zum Korridor hinter ihm steht offen. Von den Rhinos ist nichts zu sehen. Das Klappmesser liegt ungeöffnet in meiner Hand.
Ich blicke dem Friseur in die Augen.
– Digga will, dass ich für das große Match gut aussehe?
– Was? Scheiße, nein. Den interessiert einen Scheiß, wie du aussiehst. Aber ich hab da ein gewisses Berufsethos.
– Jetzt gleich?
– Was? Bist du blöd im Kopf? Jetzt ist keine Zeit. Wir müssen deinen Arsch hier rausschaffen.
– Was?
– Was? Was? Digga hat schon recht, du bist wirklich ein scheißblödes Weißbrot. Auf, wir müssen los.
Ich stehe auf. Er geht zur geöffneten Tür rüber.
– Los.
Die Rhinos liegen im Korridor auf dem Boden. Ich sehe den Friseur an.
– Warst du das?
– Sonst ist ja wohl niemand hier, oder?
Stimmt.
– Sind sie tot?
Er kratzt sich am Kopf.
– Tja, das ist wohl die Eine-Million-Dollar-Frage, oder?
– Klar.
Er deutet auf einen der Rhinos.
– Nur k. o. Nimm ihm die Jacke ab. Und das Sweatshirt.
Ich ziehe dem Rhino die Jacke und den Kapuzenpullover aus und bemerke die riesige Beule an seinem Hinterkopf.
– Schmeiß dir die Klamotten über. Und zwar während wir hier abhauen.
Ich laufe weiter, entferne mich mit dem Friseur vom Duschraum und schlüpfe dabei in die Sachen des Rhinos. Ich bemerke, dass der Friseur einen ziemlich kräftigen linken Arm und massive Schultern hat, und überlege mir, ob ich ihm das Messer ins Ohr rammen sollte. Lieber erst mal abwarten, bis er mich hier rausgeführt hat.
Wir steigen eine Treppe hoch, aber nicht die, die von Papas Männern bewacht wird. Der Gang hier ist schmaler und führt anscheinend zum Hinterausgang. Der Friseur mustert mich.
– Zieh die Kapuze über. Ja, so ist’s gut. Und behalt den Kopf unten. Hände in die Taschen. Ja. Okay. Und halt bloß die Klappe.
Er öffnet eine Tür, und wir betreten den asphaltierten Sportplatz hinter dem Jack. Ich behalte den Kopf unten, stecke die Hände in die Taschen und halte den Mund. Als wir an den Basketballplätzen vorbeigehen, höre ich, wie der Wind den Maschendrahtzaun zum Klirren bringt. Der Friseur zupft an meinem Ärmel.
– Da lang. Kopf runter. Einfach mir nach. Auf keinen Fall aufsehen. Ist zwar alles ruhig, aber hier schwirrt trotzdem eine Wache rum. Jetzt kommt eine Treppe.
Wir steigen eine Treppe hinauf. Eine ziemlich lange Treppe. Die endlosen Betonstufen führen die Klippe hinauf, die ich vorhin gesehen habe. Oben angekommen bleibt der Friseur stehen.
– Okay. Ich glaub, wir haben’s geschafft. Kannst den Kopf wieder heben, aber behalt die Scheißkapuze auf.
Ich sehe mich um. Dann gehen wir ein paar Blocks die Edgecombe hinunter. An der Ecke zur 150th bleibt er vor einem Haus mit spitzenbewehrtem Eisenzaun stehen und öffnet ein Tor. Das Haus ist riesig. Ein Backsteinbau mit schwarzen Dachziegeln und Rollläden. Sieht genau aus wie ein Spukhaus aus einem alten Horrorschinken.
Der Friseur führt mich auf einem rissigen Steinpfad zur Rückseite des Hauses. Wir gehen ein paar Stufen hinunter und stehen vor dem Hintereingang.
Er sieht mich an.
– Richtig stimmungsvoller Ort, oder?
– Ja. Allerdings.
Er öffnet die Tür, tritt ein und schaltet das Licht an. Ich folge ihm und erwarte, dass jeden Moment Digga und seine Männer hervorspringen, Überraschung! schreien und mir die Scheiße aus dem Leib prügeln. Aber nichts dergleichen passiert. Stattdessen führt mich der Friseur durch einen kleinen, staubigen, aber gemütlichen Salon in eine Art Wohnküche. Ich nehme die Hände aus den Taschen. Ohne
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