Blutrausch
anstatt seine Leute.
Er nimmt einen Schluck von seinem Bier.
– Aber in letzter Zeit steigt der Druck immer mehr. Es wird richtig explosiv. Und weißt du, warum?
– Nein.
Er wischt sich den Schaum von den Lippen, zündet sich eine weitere Zigarette an und wirft das Päckchen auf den Tisch.
– Wegen dem Scheiß, nach dem du fragst. Weil der Stoff ein paar von unseren jungen Leuten fertiggemacht hat. Weil Digga behauptet, dass der Scheiß von jenseits der Grenze kommt, aus Koalitionsgebiet. Dass die planen, uns zu vergiften und den Hood zurückzuerobern. Es wird Krieg geben, sagt er. Papa dagegen predigt, dass wir keinen Krieg brauchen, sondern Diplomatie. Erst Wahlen, dann Diplomatie. Wir müssen nur unsere Beziehung zur Koalition normalisieren, dann wird alles cool.
Ich trinke mein Bier. Er sieht mich an.
– Tja, Junge, was hältst du davon? Wie klingt das alles für dich?
Ich hebe das Päckchen Pall Mall auf und schüttle eine Zigarette heraus.
– Klingt, als ob Digga höchstpersönlich Luther X umgebracht hat und jetzt ein großes Tamtam veranstaltet, weil er Angst um seine Position hat. Klingt, als ob er hinter dem ganzen Scheiß steckt.
Er zündet ein weiteres Streichholz an und hält es mir hin.
– Tja, so klingt es, nicht wahr?
Ich zünde mir die Zigarette an.
Er bläst das Streichholz aus.
– Jetzt kümmern wir uns erst mal um deine Frisur.
– Siehst du das Bild an der Wand da, neben dem Telefon?
Ich sitze auf einem Stuhl mitten in der Küche. Er hat ein Tischtuch um meinen Hals gelegt und Zeitungspapier unter dem Stuhl ausgebreitet.
– Seh’ ich.
– Was siehst du darauf?
Es handelt sich um ein Schwarz-Weiß-Foto von einem Treffen mehrerer Leute in einer Art Turnhalle.
– Luther X und seine Jungs?
– Stimmt genau.
Er fährt mit einem nassen Kamm durch mein Haar.
– Der Mann rechts neben Luther ist der Anführer seiner Milizen. Ein Kerl, der später unter dem Namen Papa Doc bekannt werden sollte. Und der irgendwann seine ton tons macoute rekrutierte, um Luther herauszufordern.
Er fängt an, mein Haar zu stutzen.
– Die Luthers Hand hält, das ist seine Frau. Eine tolle Frau. Ist schon lange tot.
Er dreht meinen Kopf zur Seite und schnippelt an meinen Koteletten herum.
– Und der große, hässliche Neger da an der Seite, der Finsterling mit der Schrotflinte? Das bin ich.
Ich schaue genauer hin. Der Mann auf dem Bild hat zwei Arme.
– Seitdem sind viele üble Geschichten gelaufen. Kopf nach hinten.
Ich gehorche.
– Und die Bohnenstange mit der Brille, das is’ Craig Jefferson Wallace. Sollte bald unter dem Namen DJ Grave Digga Bekanntheit erlangen.
Ich schaue noch genauer hin. Er war damals wirklich ein Hemd.
– Er ist in Scarsdale geboren. Kam immer her, um freiwillig in der Gemeinde mitzuarbeiten. Ein waschechter Oregon-Neger, wie ich selten einen gesehen hab. Hat sich in seinem ersten Monat hier infiziert. Luther hat ihn unter seine Fittiche genommen. Hat irgendwas in ihm gesehen und ihm ein neues Image verpasst. Hat Gerüchte verbreitet, er wäre ein harter Nigger aus Detroit. Und als er bemerkt hat, dass Papa was gegen ihn ihm Schilde führt, hat er den Jungen zum Anführer seiner Milizen gemacht. Die Geschichte kennen nicht mehr viele. Nur noch wir alten Säcke. Du wolltest es hinten nicht ausrasiert?
– Genau.
Er drückt meinen Kopf nach vorne.
– Jedenfalls, die Leute auf der Straße halten Digga für genau das, wonach er aussieht: ein Ex-Gangster, der sich den Thron hart erkämpft hat. Ein echter Kriegsherr. Und vielen gefällt das. Er gibt ihnen ein Ziel. Einen Lebenssinn . Den Kalten Krieg mit der Koalition zum Beispiel. So haben sie ein klares Feindbild. Und damit lebt sich’s leichter. Aber in Wahrheit?
Er reißt mir die Tischdecke herunter.
– Fertig.
Ich stehe auf und stelle den Stuhl an den Tisch zurück.
Percy hebt das Zeitungspapier auf, wobei er aufpasst, dass keine Haare auf das Linoleum fallen.
– In Wahrheit ist er ein verdammt listiger und durchtriebener Motherfucker.
Er stopft das Papier in einen Mülleimer unter dem Spülbecken.
– Trotzdem hat er Luther todsicher nicht umgebracht.
Er kehrt an den Tisch zurück und steckt sich eine an.
– Das hat Luther nämlich selbst erledigt.
Er sieht auf die Uhr über dem Ofen.
– Schau’n wir mal, ob wir ein Plätzchen zum Schlafen für dich finden.
Im Salon helfe ich Percy, ein Bettlaken über die Couch zu breiten.
– Warum?
Er klemmt sich den Zipfel eines
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