Blutrose
Spyt sie fand, war sie schon zwölf Stunden tot. Oscar hatte es nicht geschafft, den Sicherheitsgurt zu lösen, darum hing er gefangen in ihrem Blut und den Fliegen. Spyt schaffte es, das Kind wiederzubeleben und Hilfe zu holen. Und dann brachte er mir das hier.« Myburgh deutete auf das Tagebuch. »Es war unter Oscars Sitz versteckt.«
»Warum?«
»Weil Virginia nicht dort gewesen war, wo sie hätte sein wollen.« Offenbar hatte Myburgh den Rubikon des Zweifels überschritten. Er klang viel ruhiger, als er weitersprach. »Es war das Einzige, was nach dem Unfall von ihrer Arbeit zurückblieb. Alles andere war verschwunden. Wenn Spyt nicht vorbeigekommen wäre, hätte niemand die beiden gefunden. Sie waren auf einer Seitenstraße im Kuiseb.«
»Was wollte sie dort?«
»Virginia liebte die Namibwüste«, sagte Myburgh, »und sie hegte einen tiefen Groll gegen die südafrikanische Armee und das, was sie der Wüste angetan hatte. Ich hielt sie immer für paranoid, ich meinte, sie würde überall Verschwörungen wittern. Sie war besessen, Dr. Hart, und fest davon überzeugt, dass ihre geliebte Wüste von der Armee vergiftet worden war. Sie versuchte aufzudecken, was passiert war und was ihrer Überzeugung nach schon wieder passierte. Sie hätte alles versucht, um dem Einhalt zu gebieten.«
»Womit vergiftet?«, fragte Clare. »Die Südafrikaner sind vor mehr als zehn Jahren abgezogen.«
»Ihr Material haben sie mitgenommen«, sagte Myburgh, »doch sie haben ein paar tief beschädigte Menschen zurückgelassen, nicht weniger vernarbt und vergiftet als die Wüste.«
»Was wurde dort getestet?«
»Offiziell die üblichen schweren Waffen«, sagte Myburgh. »Doch Virginia war überzeugt, dass auch geheime biochemische Tests vorgenommen worden waren. Krankheiten, Viren,
Gifte, die in den Boden gesickert waren und die Topnaars von ihrem Land vertrieben hatten. Kurz vor dem Unfall rief sie mich an und eröffnete mir, dass sie auf noch etwas, etwas viel Schlimmeres gestoßen sei. Sie wollte nicht am Telefon darüber sprechen.« Myburgh wandte kurz den Blick ab, ehe er weitersprach. »Sie sagte, der Grundwasserspiegel sei kontaminiert worden.« Er rieb sich die Augen. »Virginia war so paranoid. Damals erschien es mir einfacher, sie abzuwimmeln.«
Clare musste an Fritz Woestyn denken, dessen lebloser Körper an der Wasserpipeline gelehnt hatte, jener Arterie, die Wasser nach Walvis Bay pumpte und die von der Außenwelt abgeschnittene Stadt mit dem Lebenselexier versorgte. »Wodurch kontaminiert?«, fragte sie.
»Damals verstand ich sie nicht, und ich tue es immer noch nicht, weil sie Afrikaans sprach, aber hängen geblieben ist es mir doch, weil sie sonst nie Afrikaans sprach. Sie meinte, es sei die Sprache der Unterdrücker.« Myburgh holte Luft. »Sie sagte, sie sei vasgetrap . Schnell gefangen. Wenigstens glaube ich, dass sie das gesagt hat.«
»Vasgetrap, vasgetrap .« Clare murmelte die Silben vor sich hin. Das Wort beschwor das stille Haus in McGregor herauf, das Arbeitszimmer mit dem Elefantenfuß. Mrs Hofmeyr mit dem eisengrauen Haar, die über ihren toten Mann sprach und ihre Jahre als Soldatenfrau. »Sie hat nicht vielleicht Vastrap gesagt, oder?«
»Vastrap, ja, genau, das war es.« Myburgh sah sie an. »Was ist das?«
»Eine Militärbasis in Südafrika, ein geheimes Waffentestgelände mitten in der Kalahari.«
Ein grauenvolles Bild gewann in Clares Kopf Konturen. Sie schlug die letzte Seite in Virginia Meyers Tagebuch auf. Die Ziffern Zwei, Drei und Fünf waren rot umringt. Clares Blick heftete sich auf Myburghs scharfnasiges Profil.
»Tertius«, fragte sie, »was bedeuten die Ziffern?«
»Nichts«, sagte er.
»Hören Sie auf, mich anzulügen.«
»Na schön, für sich allein bedeuten sie nichts.« Myburghs Stimme klang monoton, sein Blick war starr auf den wogenden Ozean gerichtet. »Nur in der Verbindung mit Uran. U-235 ist ein Isotop. Hochangereichertes Uran. Es ist die einzige bekannte natürlich vorkommende Substanz, die zu einer Kernspaltungskettenreaktion fähig ist. Die Art, die man für Atomwaffen braucht.«
Myburgh sah Clare zum ersten Mal in die Augen, während sich seine Knöchel weiß um das Lenkrad krampften.
»Das meinte sie damit, dass die Wüste kontaminiert sei, Dr. Hart. Diese Jungen und Virginia Meyer waren alle am selben Ort, und jetzt sind sie alle tot.«
50
Das Knattern der Enduro-Maschine hallte als trockenes Stakkato über die Ebene. Riedwaan hielt an, um sich zu
Weitere Kostenlose Bücher