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Blutrose

Blutrose

Titel: Blutrose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margie Orford
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orientieren. Er hatte sich aufgemacht, Karamata zu finden, doch der hatte nicht an seinem Schreibtisch gesessen, und Riedwaan hatte keine Zeit darauf verwenden wollen, ihn lange zu suchen. Er war sowieso lieber allein. Die Sonne hing gelbbäuchig über dem Meer, als er an der Stelle vorbeikam, an der Lazarus Beukes gefunden worden war, doch das flache Tal war eine Sackgasse, die an einem Wall aus Sand endete. Darum ließ er das vergleichsweise heimelige Gebiet des ausgetrockneten Kuiseb-Tales hinter sich und baute darauf, dass ihn sein billiges chinesisches GPS durch die endlose Wüste leiten würde.
    Von Norden her versackte hier in einem Ozean von rotem Sand die stillgelegte Eisenbahnstrecke, jenes Rückgrat, das die Wüste, weich wie das Fleisch einer Frau, in zwei Hälften teilte.
Riedwaan überprüfte die Koordinaten auf seinem GPS. Sie sagten ihm das Gleiche wie seine alte Militärkarte: Er musste auf die andere Seite dieser wasserlosen Meerenge. Da draußen würde die Temperatur jedem menschlichen Körper die schützende Hülle aus Haut, Haar und Fleisch abfressen. Innerhalb weniger Wochen wäre er nur noch ein weißes Skelett mit einem grinsenden Totenschädel, der zur dunkelblauen Himmelskuppel emporstarrte. Riedwaan schätzte den Neigungswinkel der ersten Düne ab und den Steigungswinkel der zweiten, jagte das Motorrad über den Kamm und raste mit Vollgas hinunter, in der Hoffnung, der Schwung würde ihn auf den Kamm der nächsten Düne tragen. Seine Hoffnung wurde erfüllt, doch auf der nächsten Düne erwartete ihn nur eine weitere Düne und dahinter noch eine.
    Wieder orientierte sich Riedwaan, und wieder versuchte er sich seinen eigenen Untergang nicht auszumalen. Er zwang sich, mehr oder weniger den Spuren eines Fahrzeuges zu folgen, das diesen Weg vor ihm genommen hatte. Nach drei weiteren Dünen tauchte die Eisenbahnstrecke wieder aus dem Sand auf, auch wenn die Schwellen wie Zündhölzer verstreut im Sand lagen. Er war nur noch etwa einen Kilometer von seinem Ziel entfernt. Schon jetzt konnte er es ausmachen: ein paar struppige Büsche und ein knorriger Eukalyptusbaum neben zwei windschiefen Hütten. Riedwaan fuhr neben den Gleisen her und blieb unter dem Baum, diesem geisterhaften Wächter mitten in den Dünen, stehen. Bis auf das Rascheln der Samenhüllen, die vom Ostwind über den Sand gerollt wurden, war alles still.
    Der Boden fiel neben den Hütten zu zwei betongedeckten Erhebungen ab. Sie hätten hundert Jahre oder kein Jahrzehnt alt sein können. Die Spuren, denen er gefolgt war, waren keines von beidem, dachte Riedwaan, als er sich bückte, um den festgebackenen Erdboden zu untersuchen. Ein schweres Fahrzeug, etwa ein Landrover, war hier vor Kurzem durchgefahren.
Eine leere Brandyflasche lehnte vergessen an dem ausgebleichten Baumstamm. In der Nähe lagen verstreut mehrere Zigarettenstummel. Riedwann bückte sich und betrachtete sie genau. Zwei verschiedene Marken.
    Im Schatten war es kühler, doch nicht deswegen überlief Riedwaan ein eisiger Schauer. Am Fuß des rissigen Baumstamms hatte sich ein schmutziges weißes T-Shirt mit unauslöschlichen Schweißflecken unter den Achseln verfangen. Das Pesca-Marina-Logo wurde nur halb von der Schaufel verdeckt, die darauf lag. Riedwaan stand genau dort, wo die Männer gestanden haben mussten, und vor seinem inneren Auge liefen plötzlich mit albtraumhafter Klarheit zusammenhängende Bilder ab. Wie die Heckklappe des Fahrzeuges aufging und die eilig zusammengesammelte menschliche Fracht herauspurzelte – fünf Jungen, dazu angestellt, todbringende, in einem anderen Leben ausgesäte Früchte zu ernten. Riedwaan zündete sich eine Zigarette an.
    Der Brandy, der unverdünnt erst durch die Kehle des einen Mannes und dann durch die des anderen geflossen war. Unmöglich zu sagen, wie viele es insgesamt gewesen waren, doch Riedwaan tippte auf nur zwei. Die Männer, die das Treiben weiter unten verfolgten, waren den Anblick gebückter Rücken gewöhnt, die sich rhythmisch ihrem Willen beugten.
    Den Jungen war es bestimmt gefahrloser vorgekommen hierherzufahren, als für einen feisten Trucker oder einen Matrosen mit Messer mit gespreizten Beinen vor einer Mauer zu stehen. Für hundert pro Nacht stellten sie keine Fragen. Vielleicht hatten die Angst und seine Krankheit einem der vom Graben erhitzten Jungen die Luft abgeschnürt. Der jüngste unter ihnen hatte womöglich das Shirt abgestreift, sodass der Mond seinen schlanken Rumpf umspielte, während er

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