Blutrose
wurde. Der Name ist hängen geblieben.«
»Jemand hat sie rausgefischt, ein Südafrikaner«, ergänzte
Ragnar. »Ironischerweise hatte er einen russischen Namen. Gretchen verdankt diesem Mann ihr Leben.«
Lang bevor Clare die Musik hören konnte spürte sie das dumpfe Hämmern des Basses. Das Logo des Clubs zeigte einen nackten, an einer Stange tanzenden Engel mitsamt Flügeln und Heiligenschein.
»Das treibt die Fundamentalisten bestimmt zum Wahnsinn.«
»Allerdings«, sagte Ragnar. »Jeden Sonntag demonstrieren hier die Ladys von der Christlichen Mission; wahrscheinlich, weil sie ihren Ehemännern auflauern wollen.«
Drinnen lag schwerer Tabakrauch in der Luft. Rund um den Billardtisch lehnten die Mädchen vornübergebeugt an ihren Queues und präsentierten ihre Dekolletés. Einige Paare tanzten, während an der Bar die wartenden Damen an ihren Colas nippten. Eine Gruppe von betrunkenen Russen, die sich an der Bar durch eine Flasche Wodka arbeiteten, musterten Clare kurz abschätzend und widmeten sich dann wieder ihrem Vorhaben. Nur zwei Tische waren besetzt.
»Das ist er.« Ragnar deutete auf einen Tisch, an dem ein einzelner Mann saß. »Der Kerl, der Gretchen aus dem Wasser gezogen hat.« Das Hemd des Mannes schmiegte sich an seinen mageren Oberkörper, die langen Beine lagerten ausgestreckt übereinander, und an der Spitze seiner staubigen Wildlederstiefel glänzten Stahlkappen. Eine Zigarette baumelte in einer gebräunten Hand. Er hatte den Stuhl zurückgekippt, sodass sein Gesicht im Dunkel blieb.
»Spielt er Clint Eastwood?«, fragte Clare.
»Frag ihn das lieber nicht«, riet Ragnar. »Er ist nicht gerade ein Scherzkeks.«
Clare erkannte einige der Gäste an dem Tisch wieder, der direkt neben der Bühne stand und unter den vielen Champagnerflaschen zusammenzubrechen drohte. D’Almeida hielt seine Sekretärin, die schöne Anna, im Arm. Er prostete Clare
mit erhobenem Glas zu. Ihm gegenüber saß Goagab in einem auffallenden Armani. Begleitet wurden sie von zwei schwergewichtigen Männern in den Vierzigern. Auf dem Knie des einen saß ein zerbrechliches Mädchen, das sein Unbehagen mit einem Lächeln zu überkleistern versuchte. Der andere musterte Clare träge und fuhr sich mit der Zunge über die feuchten, leicht geöffneten Lippen.
»Politiker?«, fragte Clare.
»Geschäftsleute. Politiker. In diesem Teil der Welt ist das identisch. Meine neuen Bosse«, sagte Ragnar. »Ihnen gehört die Alhantra . Sie feiern, dass ich die Lizenz bekommen habe.«
»Möchtest du dich zu ihnen setzen?«
»Nicht jetzt, wo ich dich für mich allein habe.« Seine Hand strich über ihre. Die intime Berührung durch seine rauen Finger brachte sie kurz aus dem Konzept.
»Was möchtest du?«, lächelte er.
»Einen Brandy, bitte.«
Die Bar füllte sich langsam, Männer kamen allein oder in größeren, aufgekratzten Gruppen herein. Chinesen, Spanier, Senegalesen, Südafrikaner, frisch geduscht, mit gegeltem Haar, die Blicke verstohlen auf die Frauen gerichtet, die sich langsam von ihren Barhockern oder vom Billardtisch lösten.
»Wann fängt die Show an?«, fragte Ragnar den Barkeeper, der ihnen die Drinks einschenkte.
»In zehn, fünfzehn Minuten.« Der Barkeeper schob ihnen eine Broschüre zu, auf der sich eine junge Frau – von vielleicht fünfundzwanzig Jahren – um eine Tanzstange wand.
Fünf Minuten später flackerten die Lichter und erloschen. Ein Trommelwirbel vom Band übertönte Clares Einwände. Der Samtvorhang öffnete sich, und eine attraktive Blondine trat unter die bunten Scheinwerfer. Unter mehreren Lagen aus blauem, transparentem Chiffon war ein sinnlicher Körper zu erahnen, und die Narbe unter ihrem linken Auge wirkte im Scheinwerferlicht wie eine schlanke, ausgebleichte Mondsichel.
Die von dunklen, geschwungenen Brauen überschatteten Augen verrieten nichts.
»Der Blaue Engel?«, fragte Clare.
»Das ist sie. Gretchen von Trotha. Noch nicht in voller Pracht. Dann ist sie ein echter Leckerbissen«, prophezeite Ragnar. »Noch einen?«
»Noch einen letzten«, sagte Clare. »Dann gehen wir?« Ihr Interesse war geweckt.
»Nicolai«, rief Ragnar. Der Barkeeper füllte Clares Glas, ohne den Blick von ihrem Gesicht zu wenden. »Gefällt Ihnen die Show?«, fragte er.
»Dem Publikum sagt sie jedenfalls zu«, meinte sie.
Gretchen bewegte sich völlig mühelos, und ihre Geringschätzung verlieh ihrem Tanz eine bedrohliche Erotik. Die eben noch lärmenden Männergrüppchen saßen wie gebannt da. Sie
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