Blutrose
Leichnam in ihrem Kopf herumspukte. Er trieb sie in die Küche, wo sie auf Tee und Gesellschaft hoffte.
Oscar saß allein am Küchentisch hinter einer unangetasteten Schüssel mit verklebenden Cornflakes.
»Du bist aber früh auf.« Mara lächelte ihn an.
Oben knallte eine Tür, und die dünne Kehle des Jungen zog sich um den letzten Bissen zusammen. Oscar sah auf. Mara tat es ihm gleich und malte sich dabei aus, wie George Meyer aus dem Zimmer seiner zweiten Untermieterin in den kühlen Korridor im Obergeschoss trat und die Tür zu der Frau im Zimmer schloss: Gretchen, die ihre Schulden stets beglich, obwohl sie dabei tiefe Verachtung für ihren Vermieter und dessen einsam tröpfelnden Genuss ausstrahlte.
»Mach schon«, brach Mara das gespannte Schweigen. »Iss dein Frühstück.«
Oscar, auf Gehorsam gedrillt, griff wieder nach seinem Löffel. Aus dem Hafen war das klagende Heulen einer Schiffssirene zu hören.
»Die Alhantra«, sagte Mara und stellte den Wasserkessel auf.
Mara hatte Oscar einst an Bord mitgenommen, und er hatte beobachtet, wie sie Juan Carlos küsste, als beide angenommen hatten, er würde sie nicht sehen. Doch dem Jungen entging nie etwas, darum hatte er auch gesehen, wie Juan Carlos, Maras Freund, mitten in der Nacht in ihr Zimmer geschlüpft und kurz vor dem Morgengrauen wieder verschwunden war.
George Meyer kam in die Küche und knöpfte sein Jackett zu. Er begrüßte Mara, schenkte sich einen Kaffee ein und trank ihn schweigend.
»Komm, Oscar«, sagte er, während er den Kaffeebecher abstellte und auf die Uhr sah. Oscar streckte unsicher die Hand aus, aber George glaubte, er wollte nach seinem Pausenbrot greifen, und drückte dem Jungen zwei Scheiben Weißbrot in Klarsichtfolie in die Hand. Gerade als die beiden in die Nebelschwaden traten, die über den trostlosen Hof und über die schlaff an der Leine hängende Wäsche zogen, öffnete Clare Hart das Tor.
»Guten Morgen, Dr. Hart«, sagte Meyer. »Kann ich Ihnen helfen?«
»Ich möchte mit Mara Thomson sprechen«, antwortete Clare. »Ist sie da?«
»In der Küche.« Meyer öffnete die Tür seines Pickups. »Steig ein, Oscar. Du kommst heute mit mir. Du kannst noch ein paar Pflanzen für mich zeichnen. Das hätte deiner Mutter gefallen.«
Oscar kletterte in die Fahrerkabine und stellte die Tüte zu seinen Füßen ab. Dann ließ er die Stirn gegen das kühle Glas sinken. Es sah fast aus wie ein Nicken.
Die Türglocke schlug an und zerriss das verworrene Gedankengespinst in Maras Kopf. Halb hatte sie Dr. Hart schon erwartet, trotzdem zuckte sie zusammen, als sie Clare vor ihrer Tür stehen sah.
»Bitte kommen Sie herein.« Sie öffnete die Tür und führte Clare aus der Küche durch einen schmuddeligen Gang in ihr Zimmer.
»Setzen Sie sich.« Mara bot Clare den einzigen Stuhl im Raum an und setzte sich selbst auf das ungemachte Bett. Ein einsamer Sonnenstrahl umrahmte ihr Gesicht und hob sie aus dem anonym wirkenden Schlafzimmer heraus. Allein der vollgestellte Tisch neben dem Bett strahlte etwas Persönlichkeit aus.
»Lazarus hat mir erzählt, dass Sie auf der Müllkippe waren«, sagte Mara.
Clare nickte und griff nach einem Foto. »Sie?«, fragte sie.
Mara nickte. »Das war kurz bevor ich nach Namibia kam. Ich mit meiner Mutter.«
Die Verwandtschaft zwischen den beiden Frauen war nur mit viel gutem Willen zu erkennen. Während Mara durch ihre gelbbraune Haut und das wilde Haar auffiel, war ihre Mutter hell, und ihre Lippen wirkten genauso steif und verkrampft wie das blaues Kostüm, das sie trug. Aber trotzdem war eine gewisse Ähnlichkeit vorhanden, in den schmalen Gesichtern wie in den weit auseinanderliegenden Augen.
»Mein Vater war Jamaikaner«, erklärte Mara. »Aber ich habe ihn nie kennengelernt. Er starb bei einer Rauferei, noch bevor ich geboren wurde. Ich war also immer nur mit meiner Mum zusammen. Dass ich weggegangen bin, hat sie hart getroffen.«
»Und Sie?«, fragte Clare.
Mara seufzte. »Ich hatte ein Dorf voller Licht und Wärme und pulsierender Zikaden erwartet. Stattdessen bekam ich Walvis Bay. Irgendeinen musste es treffen.« Sie lächelte spröde.
»So schlimm?«, fragte Clare.
»Ach, es war okay. Bis jetzt. Ich habe mich in meiner Arbeit vergraben, Kinderfragen beantwortet, vorgelesen und das Fußballteam auf die Beine gestellt. Meine Mum schnitt die Sportseiten aus der Sonntagszeitung aus und nahm Fußballspiele oder Filme für mich auf. Kick it like Beckham war ein echter Hit. Es hat
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