Blutrose
Einschusswunde?«
»Schauen Sie, ob die hier gut genug sind.« Tamar klickte durch die Bilder in ihrer Digitalkamera.
»Sehen gut aus.« Helena betastete das widerstandslose Fleisch des Jungen.
»Todeszeit?«, fragte Clare.
Helena nahm ein Instrument aus ihrer Tasche, das wie eine angespitzte Fahrradspeiche aussah. »Ich werde eine subhepatische Probe entnehmen. Bei einer rektalen Temperaturmessung könnte das Gewebe beschädigt werden, was es erschweren würde, später einen sexuellen Übergriff nachzuweisen.«
Helena suchte nach der geeigneten Stelle direkt unter dem Brustkorb des Jungen. Dann drückte sie die Nadel energisch nach unten, durchbohrte damit die Haut und trieb das Metall kraftvoll in die Tiefen der Eingeweide unterhalb der Leber. Sie machte sich ein paar Notizen über die Luftbewegungen und die Anzahl der Kleidungsschichten, die der Junge trug. »Ich
brauche noch den Wetterbericht, um ihn mit der Körpertemperatur abzugleichen.«
»Hätte ihn so ein Schuss sofort getötet?«, fragte Clare.
»Ein Kind auf jeden Fall«, bestätigte Helena. »Es sieht so aus, als wäre der Schütze größer als dieser Junge oder …« Helena stand auf und presste ihre Hände aufeinander, als hielte sie eine Pistole. Dann ging sie leicht in die Knie und winkelte die Arme in Lazarus’ Richtung an. »Oder das Opfer saß oder lag.« Sie drehte sich zu Tamar und Clare um. »So hat es jedenfalls den Anschein.«
»Die Waffe?«, bohrte Clare nach.
»Wieder eine Pistole«, sagte Helena. »Nett und sauber und effizient. Durchschossene Stirn. Ich würde sagen, es war derselbe Täter.« Helena schob das Hemd des Jungen beiseite und leuchtete mit der Taschenlampe auf den Brustkorb. Das Messer hatte die Haut aufgeschlitzt. »Sieht aus, als wäre ein nicht gezacktes Messer verwendet worden, um den Jungen so zuzurichten. Und zwar nach dem Zeitpunkt des Todes.«
»Eine merkwürdige Visitenkarte«, sagte Tamar.
»Vielleicht eine Warnung. An die Sünder«, meinte Clare.
Die ebenholzschwarze Nacht war zu einem dunklen Zinngrau aufgehellt, vor dem sich die gespenstischen Silhouetten der Äste abzeichneten. Tamar verschwand zwischen den Bäumen, als würde sie an einem unsichtbaren Faden einem Irrweg aus geknickten Gräsern und verschobenen Steinen folgen. Die kaum wahrnehmbaren Spuren wirkten vertraut.
»Auf diesem Weg ist er gekommen«, sagte sie. »Und er hat den Jungen getragen. Es ist das gleiche Muster wie vor der Schule. Ein identischer Abdruck.« Clare folgte Tamar über den steinigen Boden am Flussufer. Sie stießen auf eine dünne Fährte, die sich durch den Sand schlängelte, durch das verschnörkelte Maßwerk von Tieren, die auf der Suche nach Wasser oder Nahrung hier vorbeigezogen waren. Etwas, das man im grellen Tageslicht übersehen würde.
Tamar folgte der Fährte, bis sie auf Tierkot stieß. »Wahrscheinlich ist er hier zurückgegangen«, sagte sie. »Aber es bringt nichts, der Spur weiter zu folgen.« Eine Ziegenherde zog eben durchs Flussbett. Die Tiere hatten den Sand mit ihren scharfen kleinen Hufen aufgewühlt. Einige hielten im Grasen inne und sahen zu Clare und Tamar auf. Sie löschten jede Spur zuverlässiger aus als Wasser.
»Ich schicke später ein paar Leute her. Mal sehen, ob sie was finden«, sagte Tamar, während sie an die Stelle zurückgingen, wo Helena neben dem Jungen kauerte. Sie hatte eine Plane auf dem Boden ausgebreitet und Lazarus daraufgelegt, um ihn zu untersuchen. Sie ließ ihre kompetenten, sanften Hände über den Körper des auf dem Rücken liegenden Jungen und unter seine Kleider wandern. Sie hatte Tupfer bereitgelegt und kämmte jetzt den Leichnam nach DNA-Spuren des Mörders ab, die möglicherweise vereinzelt auf dem Jungen gelandet waren.
»Schaffen wir ihn hier raus«, sagte Tamar. »Ich möchte, dass wir ihn so bald wie möglich obduzieren.« Karamata und van Wyk traten vor und hoben den Leichnam an, so wie man ein schlafendes Kind aufheben würde. Tamar schloss die Lider über Lazarus’ toten Augen.
»Der Leichnam?«, fragte Clare.
»Kommt auf den Rücksitz«, bestimmte Tamar. »Neben mich.«
Die Polizeifahrzeuge – van Wyk und Tamar im Pickup und Karamata auf seinem Quad – verschwanden jenseits der Düne. Die jagenden Fledermäuse, die dicht über den Boden geflattert waren, zogen sich zum Schlafen in den riesigen Anabaum zurück, an den Lazarus gefesselt gewesen war.
»Ich muss jemanden anrufen«, sagte Clare zu Helena. »Können Sie noch einen Moment
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