Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Blutrose

Blutrose

Titel: Blutrose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margie Orford
Vom Netzwerk:
schlug das Laken zurück und enthüllte Lazarus Beukes, der mit ausgerichteten schlaksigen Beinen, gefalteten Armen und geschlossenen Augen vor ihnen lag.
    Der Schorf auf seinem Knie war leichter anzusehen als das
saubere Einschussloch mitten in der Stirn. Clare wandte sich ab und hielt sich die Hand vors Gesicht. Die Waffe war hier, zehn Zentimeter vor seiner Stirn gewesen. Nah genug, um jede Veränderung in seiner Mimik zu beobachten, dennoch ruhig, gefasst, ohne die Aggressivität einer gegen den Schädel gepressten Mündung, die das Fleisch unter der Haut verdrehte. Für den Jungen machte es letzten Endes keinen Unterschied. Die Kugel bohrte sich durch das Hirn und grub sich tief in den Schädelknochen an seinem Hinterkopf.
    Helena ging streng methodisch vor, zog dem Jungen die Sachen aus, tütete sie ein und kommentierte ihr Vorgehen mit einer Ruhe, die in brutalem Kontrast zu den grausigen beschriebenen Details stand. Die in den knochigen Brustkorb geritzte Fünf, die alten Narben, die neuen Narben, die Wegekarte eines rauen, kurzen Lebens.
    »Ja!«, sagte Helena, als sie Lazarus auf die Seite drehte. »Wir haben keine Austrittswunde.« Eine Sekunde verstrich, bevor klar war, was ihre Worte bedeuteten.
    »Werden Sie seinen Kopf aufschneiden?«, fragte Clare, die nicht sicher war, wie viel Zeit ihr vor dem Abflug blieb, um mit Tertius Myburgh zu sprechen.
    »Allerdings«, sagte Helena. »Ganz ruhig, Clare. Noch fünf Minuten, dann sind Sie frei.«
    Clare merkte, wie die Magensäure in ihren Schlund brandete, als Helena zu den Instrumenten griff, die Lazarus Beukes’ Hirn sein letztes Geheimnis entreißen würden. Sie trat ans Fenster und wischte eine Scheibe sauber. Mit intensiver Konzentration beobachtete sie, wie die Krankenschwestern der Frühschicht eintrafen, zehn große Frauen, die aus einem Minibus-Taxi quollen. Die Krankenhaustüren glitten hinter ihnen zu und ließen die frechen Frotzeleien verstummen. Clare wünschte, die Nachtschicht würde ihre Prozession nach draußen beginnen und sie von den leisen Sägegeräuschen hinter ihr ablenken.

    Sie hörte Helena leise pfeifen und dann ein winziges Ping. Ein scharfes Luftholen von Tamar. Dann noch ein Ping. Clare verfluchte sich dafür, dass ihr so flau war. Helena nahm mit der Pinzette die Kugel aus der Metallschale und spülte das Blut und die Fleischpartikel ab, die an dem Blei klebten. Dann ließ sie die Kugel in eine Beweissicherungstüte fallen und reichte sie Clare. Klein, verbraucht, unheilvoll in ihrer Hand. Ihre Haut kribbelte.
    »Eine Kugel.« Helenas müde Miene wirkte triumphierend. »Und da ist noch eine. Zwei Kugeln direkt hintereinander. Das heißt, die erste Kugel hatte im Lauf geklemmt und wurde beim nächsten Schuss mit hinausgeschleudert. Als Ihr Mörder das zweite Mal abdrückte, bekam Lazarus zwei Kugeln zum Preis von einer.«

30
    Vier Paar Schuhe standen auf dem Rücksitz neben den beschrifteten Kleiderbündeln, die wie Geschenke in braunes Packpapier gewickelt waren. Clares Wüstenstrauß lag hinten im Kofferraum. Sie fuhr durch Swakopmund, einem malerischen Ferienort fünfunddreißig Kilometer nördlich von Walvis Bay. In den Cafés waren fette Schwarzwälder Tortenstücke ausgestellt, und die deutschen Kolonialhäuser mit ihren schneesicheren Satteldächern wirkten in der Wüste wie Raumschiffe. Die Straßenkinder dagegen waren hier wie überall: Sie erleichterten die Touristen bettelnd, schmeichelnd oder durch Taschendiebstähle um ihr Geld. Clare wandte sich dem Aquarium mit seiner kupfernen Kuppel zu, die die Seeluft mit Florentiner Grün überzogen hatte. Das Aquarium lag allein am Ende der Straße, die parallel zum Strand verlief.
    Es war noch still und kaum jemand unterwegs. Clare umrundete
das Gebäude und stieß auf der Rückseite auf den klimatisierten Schiffscontainer. Sie schob sich in das düstere Innere. Die matten, verstaubten Fenster und der beengte Raum verliehen dem Labor etwas von einem Mausoleum. Ein junger Mann saß gebeugt über einem Mikroskop. Langes Haar schirmte sein Gesicht ab.
    »Dr. Myburgh?«
    Der Mann drehte sich um. Sein Gesicht war schmal und asketisch. Er streckte ihr eine helle sehnige Hand entgegen. »Dr. Hart?« Seine Stimme war sanft, die Finger umschmiegten warm und trocken ihre Hand. »Tertius Myburgh.«
    »Ich hoffe, ich störe Sie nicht bei der Arbeit.«
    Myburgh deutete lächelnd auf die Phiolen und Gläser in den Regalen. »Meine Gesellschafter sind ziemlich still, darum freue ich mich

Weitere Kostenlose Bücher