Blutrose
Lange klatschte einen Ordner auf den Tresen. Er wirkte ausgesprochen selbstzufrieden.
Clare klappte den Bericht auf und spürte, wie das Adrenalin in ihre Adern schoss. Sie strich über die glatten Seiten. Man konnte de Lange schwerlich als redselig bezeichnen, aber seine Bilder waren es sehr wohl. Es gab zwei Abbildungen der Streifenbildung auf einer Kugel. Hätte man beide übereinander gelegt, wären sie so deckungsgleich gewesen wie zwei identische
Fingerabdrücke. Die konzentrischen Muster waren der unverwechselbare Abdruck der Waffe, aus der sie abgefeuert worden waren.
»Woher haben Sie die?«, fragte sie.
»Ich habe noch mehr.« De Lange rollte einen langen, weißen Papierstreifen aus. Das auf dem Tisch erscheinende Bild zeigte eine Explosion von bunten Linien, die von dicht stehenden Daten und Ortsnamen ausstrahlten.
»Was ist das?«, fragte Clare. »Ein Stammbaum?«
»In gewisser Weise ja«, sagte de Lange. »Obwohl man es eher als Todesbaum bezeichnen sollte. Ich habe Ihnen doch erzählt, dass ich mich mit den Bandenkriegen beschäftigt habe. Dabei habe ich Grafiken angefertigt, um festzustellen, ob sich bestimmte Schusswaffen mit verschiedenen Tatorten verknüpfen lassen. Diese Grafik hier entstand während eines Scharmützels um mehrere Drogenumschlagplätze und Taxistrecken. Ich habe Ihre Kugeln aus Walvis Bay in unser Computersystem eingespeist und peng! kam das hier raus.« Er deutete auf einen kleinen goldenen Stern auf einem Nebenzweig, der in einer Sackgasse endete.
»Ganz von selbst?« Clare beugte sich vor, um de Langes Gekrakel zu entziffern. »In McGregor? Wen hat es getroffen?«
»Normalerweise will ich das gar nicht wissen«, erklärte ihr de Lange. »Wenn ich erst einen Namen habe, kommen in Windeseile eine Frau und heulende Kinder dazu, und schon ist es aus mit der Objektivität.« Er schob Clare die Akte zu. »Aber den hier habe ich für Sie eruiert. Ex-Armee. Ein Major Hofmeyr, der vor ein paar Jahren in einem Weinberg an der Hauptstraße nach McGregor gefunden wurde. Sein Auto stand am Eingang zur Farm, und entdeckt wurde er mittags von zwei kleinen Mädchen. Da war er schon ein paar Stunden tot. Dem Pathologen zufolge wurde er gegen sieben Uhr morgens erschossen.«
Clare blätterte den dünnen Bericht durch. Er enthielt nicht
viel, worauf sie aufbauen konnten. Major Hofmeyr hinterließ eine Frau und eine Tochter, doch für ein so grausames Verbrechen wurden nur wenige Details genannt. »Keine Spuren?« Clare sah zu de Lange auf.
»Keine Spuren, keine Zeugen. Rein gar nichts.«
»Nichts außer einer Kugel in dem Baum, an dem Hofmeyrs Leichnam gefunden wurde«, merkte Riedwaan an.
»Die Polizei vermutete damals einen Bandenmord, vielleicht als Initiationsritus«, fuhr de Lange fort. »Er wurde gefoltert. Seine Haut war überall aufgeschnitten und abgelöst. Sie hing ihm in Streifen vom Fleisch und sah aus wie eine Spitzenklöppelei.«
Clare beugte sich über die Aufnahmen vom Tatort. Der Leichnam eines Mannes lehnte zusammengesackt an einem Baum, Blut und Fliegen verkrusteten die zerschmetterte Stirn und die zerschlitzte Brust. »Wahrscheinlich war Hofmeyr erleichtert, als der Todesschuss kam«, spekulierte sie, als sie sah, wie die Haut von seinem trainierten Soldatenkörper hing.
»Könnte auch ein Profikiller gewesen sein«, wandte sich Riedwaan an de Lange. »Wie viel kostet auf den Flats inzwischen ein Weekend Special? Fünfzig Dollar die Waffe, und die Munition gibt’s gratis dazu?«
»So in etwa«, bestätigte de Lange. »Aber wie kam sie nach Walvis Bay?«
»So eine Waffe kann problemlos die Westküste hinaufreisen«, meinte Riedwaan. »Nachdem die Grenze löchrig ist wie ein Sieb, könnte sie in wenigen Tagen nach Walvis Bay gelangen.«
»Den Gedanken hatte ich auch schon«, sagte de Lange. »Aber trotzdem habe ich weder vorher noch nachher jemals so etwas gesehen. Die Sache machte mir zu schaffen. Darum habe ich eine Kopie des Berichts behalten.«
»Was genau machte Ihnen daran zu schaffen?«, fragte Clare.
»Das Gleiche, was auch Februarie zu schaffen machte, dem
Kollegen, der damals den Fall bearbeitete. Die Munition«, antwortete de Lange. »Ein Vollmantelgeschoss. Das ist was für Profis. Bewachungsfirmen und das Militär verwenden solche Kugeln. Keine billigen Drogengangster.«
»Wir werden das gleich morgen überprüfen«, sagte Clare. »Und mit seiner Frau reden. Wohnt sie noch in McGregor?«
De Lange nickte. Er erweckte den Eindruck, dass er mehr
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