Blutrose
über die überlebenden Verwandten wusste, als ihm lieb war. »Die Berichte können Sie behalten.« Er schenkte sich noch einen Whisky ein. »Machen Sie nur. Ich muss noch ein paar Sachen abarbeiten.«
Es war fast ein Uhr nachts, als Clare und Riedwaan endlich wieder über den leeren Highway fuhren. »Geht er jemals nach Hause?«, fragte Clare.
»Nein«, erwiderte Riedwaan. »Er sucht immer noch nach der Waffe, mit der sie umgebracht wurde.«
Jeder bei der Polizei wusste, dass der Mord an de Langes Frau damals auch ihn um ein Haar das Leben gekostet hätte. Sie war vor gut einem Jahr bei einem verunglückten Entführungsversuch erschossen worden. »Er ist überzeugt, dass er nur die Waffe zu finden braucht«, fuhr Riedwaan fort, »dann findet er auch den Speedschädel, der sie umgebracht hat, und dann kann er sein Leben weiterleben wie zuvor. Bis dahin verfolgt er die Fährte jeder verirrten Kugel am Kap.«
»Was uns nur von Nutzen ist.« Clare schaute auf die Stadt. Verglichen mit dem Wüstenhimmel wirkten die wenigen sichtbaren Sterne über dem Lichterteppich aus Straßenlaternen und blinkenden Neonschildern wie ausgebleicht.
»Wir werden sehen.« Riedwaan parkte vor Clares Wohnung.
Seine Hand an ihrem Hals hielt sie davon ab, die Tür zu öffnen. Als er sich ihr zuwandte, wurde sein Gesicht vom orangefarbenen Schein der Straßenlaterne in Facetten zerteilt.
Er strich mit dem Daumen über ihre volle Unterlippe und brachte damit ihre Proteste zum Verstummen.
»Ich habe dich vermisst.« Seine Finger wanderten abwärts bis zu der Mulde unten an ihrem Hals, dann noch tiefer, waren auf ihren Brüsten, bis sich ihre Brustwarzen unter den erfahrenen Handflächen aufstellten. Sie spürte Riedwaans warme Haut auf ihrer, als er sie auf Augen, Ohren, Mund küsste, und die Begierde durchschoss sie. Sie legte die Hände auf seine Brust, merkte, wie sein Atem schneller, schärfer ging. Dann nahm sie ihre ganze Willenskraft zusammen und schubste ihn weg.
»Ich kann das nicht.« Clare stieß die Tür auf und stieg aus. Auf dem Bürgersteig blieb sie stehen, die Arme vor der Brust verschränkt. Riedwaan starrte geradeaus auf den Atlantik, der gegen die Felsen anrollte.
»Kommst du morgen mit nach McGregor?«, fragte sie. Sie begann zu zittern.
»Ich hole dich um sechs ab.« Riedwaan ließ den Motor an. Clare stand immer noch auf dem Bürgersteig. »Geh ins Haus«, sagte er. »Ich fahre nicht los, solange du draußen bist.«
»Ich …«, setzte Clare an.
»Was?«
»Ich … sehe dich dann morgen.« Sie verschwand über die Treppe.
Als das Licht in ihrem Schlafzimmer anging, fuhr Riedwaan nach Hause. Er schloss die Tür auf und setzte sich ohne das Licht einzuschalten in den einzigen Sessel, den er besaß. Er konnte sich nicht entscheiden, welches rührselige Klischee er vorzog: Leonard Cohen oder Tom Waits. Also saß er nur da und rauchte, bis aus dem Lautsprecher der Moschee unten an der Straße der Ruf zum Morgengebet knisterte.
33
Clare wartete schon abfahrbereit, als Riedwaan sie um halb sechs abholte. In einen schwarzen Rollkragenpullover und schwarze Hosen gekleidet, mit korrekt frisiertem Haar und frischem Lippenstift hatte sie den Schildkrötenpanzer ihrer professionellen Maske wieder angelegt.
Riedwaan fuhr auf der N1 durch die dahinsiechenden Ausläufer Kapstadts in Richtung der abweisenden Berge, die das Tor zum Landesinneren darstellten. McGregor lag achtzig Kilometer dahinter.Als sie dort ankamen, war die Sonne gerade aufgegangen und holte den kleinen Weiler aus dem Schlaf. Rauch kräuselte sich über den kleinen, engen Häusern am Ostrand des Ortes. Weiter oben am Hügel breiteten sich um eine stämmige weiße Kirche größere Villen aus. Ein paar Kinder in Sportkleidung waren schnatternd auf der Hauptstraße unterwegs.
»Voortrekker Road.« Riedwaan las fassungslos das Straßenschild ab. »Das sind doch Theaterkulissen. Keine vergitterten Läden. Keine Wachleute. Wie können die hier nur schlafen?«
»Ich bin bei dir. Du wirst es überleben«, beruhigte ihn Clare. »Du kannst deine Städterstacheln wieder anlegen.«
»Mir gefällt das nicht.« Riedwaan trommelte mit den Fingern aufs Lenkrad, während er abwartete, bis eine alte Lady ihren mottenzerfressenen Terrier über die Straße gelockt hatte. »Mir kommt es so vor, als würde der ganze Ort darauf warten, dass etwas Schreckliches passiert.«
»Es ist etwas Schreckliches passiert. Sonst wären wir nicht hier.«
»Es wird nicht einfach werden,
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