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Blutrot wie die Wahrheit

Blutrot wie die Wahrheit

Titel: Blutrot wie die Wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P.B. RYAN
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an der Stirn davongetragen hatte, hatte wie ein Schulmädchen geflennt und darauf bestanden, dass man die Konstabler herbeirufe, damit sie Felix in Gewahrsam nähmen, was dann auch geschehen war.
    â€žVielleicht war ich ja der Ansicht, dass noch ein, zwei weitere Narben seinen Charakter bessern und festigen könnten“, erwiderte Will.
    Nell schlug die Augen nieder und blickte auf ihre behandschuhten Hände, dann sah sie wieder Will an. „Wenn er nicht … getan hätte, was er mir angetan hat, würdest du ihm eher geholfen haben?“
    Er zögerte. Sie spürte, wie ihm bereits eine seiner so leichtfertig amüsanten Erwiderungen auf der Zunge lag, doch dann schaute er ihr einfach nur in die Augen und sagte schließlich: „Ja.“
    Nell nickte und sah beiseite. Hier, im gemeinhin als Colonnade Row bekannten Teil der Tremont Street, sah es bei Nacht so still und feierlich aus, mit all den eleganten Stadtvillen, in deren Fenstern um diese Zeit nur noch vereinzelt ein Licht brannte, und dem Boston Common gegenüber, der nun dunkel und verlassen dalag. Im Winter war es gar noch schöner, wenn der Schnee leise im Schein der Straßenlaternen funkelte.
    Sie lebte mittlerweile sehr gern hier. Sie liebte Boston, Viola und ihre Arbeit als Gouvernante, aber am meisten liebte sie Gracie.
    Der Ruch eines Skandals würde genügen, und alles, was Nell auf dieser Welt am meisten schätzte, alles, was ihr Leben lebenswert machte, könnte ihr im Nu genommen werden. Eine angebliche „Übereinkunft“ mit einem Gentleman war das eine, eine Liebesaffäre – eine richtige Affäre, verstohlen und heimlich – wäre etwas ganz anderes.
    Nell wandte sich Will zu, überlegte sich in Gedanken, was sie sagen wollte – oder vielmehr nicht sagen wollte, aber sagen musste. Während sie noch so nach Worten suchte, zog Will seinen rechten Handschuh aus, griff nach ihrer linken Hand, knöpfte ihren Handschuh auf und streifte ihn gleichfalls ab.
    Er nahm ihre Hand und hielt sie in der seinen, die so viel größer war als ihre; verborgen in ihren sich weit bauschenden Röcken, spürte sie warm seine Haut auf der ihren. Und dann lächelte er sie an. Es war ein stilles Lächeln, ein wenig wehmütig und traurig, doch auch beruhigend – und es sollte beruhigend sein, das wusste Nell.
    Was er ihr sagen wollte, ohne dabei unbeholfen nach den richtigen Worten suchen zu müssen, war: Wir müssen nicht darüber sprechen. Wir werden weitermachen wie bisher und so tun, als sei nichts geschehen.
    Will zog seine Hand zurück und streifte den Handschuh wieder über, stieg aus und ging um den Wagen herum, um Nell herauszuhelfen. Er brachte sie hinauf bis zur Tür des Hewittschen Hauses, wünschte ihr eine gute Nacht, kehrte zu seinem Phaeton zurück und fuhr davon.

10. KAPITEL
    â€žUnd das ist der Garten“, sagte Isaac Foster, als er Nell und Will am nächsten Morgen zur Hintertür seines Hauses in der Acorn Street hinausführte. Die Sonne schien ihnen so hell entgegen, dass sie alle drei schützend die Hand an die Augen legten.
    Klein und anheimelnd hatte Orville Pratt es genannt, und anheimelnd war es wirklich: ein knapp vierzig Jahre altes, doch sehr gut instand gehaltenes Backsteinhaus, in einer lauschigen Gasse gelegen, deren Pflastersteine von weichem Moos überzogen waren. Aber ein Stadthaus mit nicht weniger als zwölf Zimmern als „klein“ zu bezeichnen, erschien Nell, die in einer Hütte mit gerade einmal zwei Räumen aufgewachsen war, dann doch ziemlich abwegig.
    Der Garten war ebenfalls lauschig und anheimelnd, umgeben von efeuberankten Mauern. Die Luft war erfüllt vom Duft der in voller Blüte stehenden Pflanzen, die ringsum entlang der Mauer wuchsen. Zumeist Heilkräuter, eines seiner besonderen Interessengebiete, wie Foster ihnen erklärte, und er fügte hinzu: „Es ist zudem angenehm ruhig hier draußen, sehr erholsam – besonders abends.“
    â€žDas kann ich mir gut vorstellen“, meinte Nell und sah sich angetan um.
    â€žFür einen Arzt ist die Lage in Beacon Hill ideal“, fuhr Foster fort. „Das Massachusetts General Hospital und die medizinische Fakultät von Harvard sind beide nur ein paar Straßen weiter nördlich gelegen.“
    â€žWürde ich noch praktizieren, wäre das tatsächlich ein Argument.“ Will zog seine Dose Bull Durhams aus der

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