Blutrot wie die Wahrheit
medizinischen Fakultät mir mehr Möglichkeiten zur Forschung gegeben hätte. Dann kam allerdings der Ausbruch des Krieges dazwischen. Meinem Forschergeist konnte das aber zunächst noch nichts anhaben. Ich habe Hunderte von Seiten mit Aufzeichnungen über die Toten der Schlachtfelder gefüllt. Das Notizbuch wollte ich Dr. Cuthbert für seine Forschungen schicken, doch als die Konföderierten mich gefangen nahmen, wurde es konfisziert.â
âWo wurden Sie gefangen gehalten?â
âAndersonville.â
Foster verzog das Gesicht. Andersonville war berüchtigt; jeder kannte die schockierenden Fotografien von den ausgemergelten Gefangenen mit ihren tief in den Höhlen liegenden Augen und den bis auf die Knochen abgemagerten Körpern, jeder hatte die Bilder von den notdürftigen Verschlägen gesehen, in denen sie bei Wind und Wetter zusammengepfercht worden waren.
âStimmt es eigentlich, dass General Grant sie als den besten Feldarzt der Unionsarmee ausgezeichnet hat?â, wollte Foster wissen.
Langsam blies Will blies den Rauch seiner Zigarette aus. âWo haben Sie denn das her?â
âIhre Mutter hat es mir gestern Abend erzählt.â
âEs stimmtâ, sagte Nell, als Will dazu schwieg.
âEigentlich doch schade, ein solches Talent zu verschwendenâ, meinte Foster.
âGewiss haben Sie genügend vielversprechende junge Männer in Ihren medizinischen Vorlesungen, sodass mein Talent kaum vermisst werden dürfte.â
âEinige sind tatsächlich sehr vielversprechendâ, billigte Foster zu, âdoch leider hat selbst Harvard seine Beschränkungen. So bieten wir beispielsweise nicht eine einzige Vorlesung zu Ihrem Fachgebiet an.â
âZu den rechtskundlichen Anwendungen der Medizin?â
Foster nickte, kratzte sich sinnig am Kinn und lächelte fein. âHatte ich eigentlich schon erwähnt, dass ich für die Stelle des stellvertretenden Dekans der medizinischen Fakultät vorgeschlagen worden bin?â
Durch den wabernden Rauch hindurch sah Will Foster abwartend an und lieà seine Zigarette reglos in der Luft verharren.
âSollte ich die Stelle bekommenâ, fuhr Foster fort, âund sollte ich zufällig einen für dieses Fachgebiet qualifizierten Kandidaten finden, würde ich ihm ein sehr attraktives Angebot machen. Natürlich bekäme er zunächst nur eine auÃerordentliche Professur â genauso habe ich einst auch angefangen â, aber selbstverständlich stünden ihm Assistenten zur Verfügung, ein ausgezeichnetes Forschungszentrum â¦â
âIch wünsche Ihnen viel Glück und hoffe, dass Sie bald jemanden findenâ, unterbrach ihn Will.
âHewitt â¦â, versuchte Foster es erneut. âWill â¦â
âSagen Sie, Foster, hat Virginia Kimball nicht auch hier in der Nähe gelebt?â, unterbrach der ihn abermals. Tatsächlich wussten er und Nell bereits sehr genau, wie nah Mrs. Kimballs Haus dem von Foster tatsächlich war.
Foster schwieg einen Moment lang, als habe ihn nicht nur der plötzliche Themenwechsel, sondern auch die Frage selbst etwas aus dem Konzept gebracht. âJa, das stimmt wohl. Sie wohnte zwar in der Mount Vernon Street, das Haus grenzt aber rückwärtig an die Acorn Street.â
âWollen Sie damit sagen, dass eine der Gartenmauern auf der gegenüberliegenden StraÃenseite zu ihrem Haus gehört?â, fragte Nell. âWelche denn?â
âDie ⦠äh ⦠die gleich gegenüber meinem Haus gelegene â um ganz genau zu sein.â
âMit der roten Tür?â Die fragliche Backsteinmauer hatte eine karminrot gestrichene Gartentür, an der weder Name noch Hausnummer standen.
âJa, genau. Daher ⦠daher wusste ich überhaupt erst, dass es ihr Haus war, weil sie manchmal die Tür offen stehen hatte, wenn sie im Garten arbeitete.â
Will rauchte schweigend und sah dann nachdenklich zum Haus hinauf. âLieblingâ, meinte er zu Nell, âmöchtest du dir nicht noch mal das groÃe Zimmer im zweiten Stock ansehen? Ich dachte mir vorhin, es könnte sich gut als Kinderzimmer eignen, aber das kannst du gewiss besser beurteilen als ich.â
âOh ⦠ja. Ja, natürlichâ, erwiderte Nell und begab sich folgsam zurück ins Haus. Auf dem Hinweg hatte Will bereits angedeutet, dass Isaac Foster vielleicht offener über seine
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