Blutrot
fühlt sich frisch und rein an. Vielleicht bläst er sogar so lange und intensiv, dass man anfängt, sich daran zu gewöhnen. Man denkt, der Wind wäre ein unentbehrlicher Teil von einem selbst. Wenn du verstehst, was ich meine, etwas, ohne das man sich zu leben gar nicht mehr vorstellen kann. Aber er muss sich wieder legen. Damit man weiterleben kann, ohne dass er einem ständig das Haar zerzaust.«
Er lehnte sich zurück, entzündete ein Streichholz und hielt es an den Pfeifenkopf.
»Bei solchem Wind kriegt man nicht mal seine Pfeife an«, sagte er.
19
»Dad? Ist alles in Ordnung? Deine Stimme klingt so seltsam.«
»Ich bin bloß müde, Allie. Als alter Mann darf ich das doch mal sein, oder? Mach dir keine Sorgen um mich. Mir geht’s gut.«
Sie hatte ihn ziemlich spät angerufen. Gegen elf. Er fragte sich, was sie wohl dazu veranlasst hatte. Etwas Neues hatte sie ihm jedenfalls nicht zu erzählen.
Ein Zufall, dachte er. Es hat nichts zu bedeuten.
Sie konnte unmöglich wissen, was sich heute mit dem Jungen zugetragen hatte.
»Du solltest schlafen gehen«, sagte er. »Und ich auch.«
Sie wünschten sich eine gute Nacht.
Er ging zu Bett, konnte aber nicht einschlafen. Immer wieder sah er die schwarze Katze vor den Pick-up laufen und fragte sich, ob dieser Vorfall ein böses Omen war.
20
An dem Abend, als sein Laden niederbrannte, hatte er etwas Ungewöhnliches getan.
Statt nach Feierabend nach Hause zu fahren, war er in Arnie Grohns Restaurant gegangen und hatte Hackbraten mit Kartoffelbrei und grünen Bohnen gegessen. Anschließend war er zwei Straßenblocks weiter durch die warme Sommerbrise zum Birch Tree Inn gelaufen.
Er saß an der langen polierten Holztheke und trank Bier gemeinsam mit einem Dutzend von Fremden oder Beinahe-Fremden. Einige der Gesichter waren ihm zwar bekannt, mehr aber auch nicht. Im Laufe einer Stunde leerte er drei Gläser, lauschte dem Gelächter der Männer und ihren Stimmen über den Countrysongs aus der Jukebox. Es war, als würden die Leute in einer fremden Sprache sprechen, denn er verstand nichts von dem, was sie sagten. In ihm stieg die gleiche Traurigkeit auf wie in der Nacht, als er Carrie Donnel von seiner Familie erzählt hatte. Er wusste nicht, woher das plötzliche
Gefühl kam und was er dagegen tun sollte. Der Barkeeper war ein junger Mann mit Brille und sandfarbenem Haar. Er sprach mit einem Südstaatenakzent, den Ludlow nicht genau zuordnen konnte. Er war höflich und sagte, das dritte Bier gehe aufs Haus. Überrascht registrierte Ludlow, dass anscheinend sogar ein junger Barmann imstande war, seine Gefühle wahrzunehmen, wenn er direkt vor seiner Nase saß.
Wahrscheinlich standen sie ihm ins Gesicht geschrieben.
Als er fertig war, legte er das Geld für die beiden Biere auf den Tresen und bedankte sich bei dem Barkeeper. Er ging die Straße hinauf zum Pick-up und dachte, dass in dieser einen Stunde die Luft doch merklich kühler geworden war.
Als er an seinem Wagen ankam, stand Luke Wallingford davor. »Mensch, Av. Endlich«, sagte er. »Alle suchen nach dir.«
Mit drei Bier im Blut verstand Ludlow nicht sofort, was Wallingford von ihm wollte. Der Mann betrieb ein kleines Jagdhotel und kaufte bei ihm Fallen und Vorräte. Warum er zu dieser Stunde auf der Straße stand und auf ihn wartete und warum die Leute ihn suchten, wollte ihm nicht in den Sinn kommen.
»Av«, sagte Wallingford, »ich weiß gar nicht, wie ich es dir beibringen soll. Aber dein Laden ist abgebrannt, verdammt noch mal. Es tut mir so leid.«
Ludlow wurde auf einmal bewusst, dass die Leute ihm neuerdings ständig sagten, wie leid ihnen irgendetwas tue.
»Der Laden? Mein Laden?«
»Er ist völlig ausgebrannt. Sie sind noch immer oben. Ein paar vor uns sind hergekommen, um dich zu suchen. Ich habe deinen Pick-up gesehen. Mensch, die ganze Munition, die du im Laden gelagert hast. Das Benzin. Das Haus ist eine einzige Ruine. Ich weiß noch nicht mal, ob das Feuer schon gelöscht ist. Soll ich dich hinfahren?«
»Ich fahre selbst. Danke, Luke.«
»Ich fahre hinter dir her.«
»In Ordnung.«
Während er den Hügel hinauffuhr, sah er den Rauch am Abendhimmel. Dann konnte er ihn schon durchs offene Fenster riechen. Oben angekommen, sah er die Scheinwerfer und Warnlichter, dann den rötlich gelben Feuerschein, die Löschfahrzeuge und die Freiwilligen an den Schläuchen, aus denen sie Wasser durch die zerborstene Fensterfront und nach oben aufs Dach spritzten. Das Feuer brannte noch.
Die
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