Blutrote Kuesse
erreichen wollen. Und ich drücke das jetzt mal ganz, ganz einfach aus: Siehst du mich nur einmal schief an, und ich habe auch nur den Eindruck, du willst mich hintergehen, bringe ich dich um. Das jagt dir jetzt vielleicht keine Angst ein, weil du ja ein großes tapferes Mädchen bist, aber denk dran: Neulich Nacht bin ich dir nach Hause gefolgt. Bedeutet dir irgendjemand in dieser besseren Scheune etwas, die du dein Zuhause nennst? Wenn ja, solltest du dich gut mit mir stellen und tun, was ich dir sage. Legst du dich mit mir an, wirst du mit ansehen müssen, wie das Haus mitsamt seinen Bewohnern in Flammen aufgeht, bevor du selbst dran bist. Versuchst du also jemals, mich auszuschalten, dann mach es gründlich, kapiert?«
Mit einem schweren Schlucken nickte ich. Ich hatte verstanden. O Gott, und wie.
»Übrigens«, sein Tonfall wurde heiter wie ein Frühlingsmorgen, »kann ich dir geben, was du willst.«
Ich hatte da meine Zweifel. »Was weißt du denn schon darüber, was ich will?«
»Du willst, was jedes vaterlose Kind will. Deinen Vater finden. Aber du bist nicht auf ein glückliches Wiedersehen aus, nein, du nicht. Du willst seinen Tod.«
Ich starrte ihn an. Er hatte laut ausgesprochen, was mein Unterbewusstsein nicht einmal zu flüstern gewagt hatte, und er hatte recht. Auch aus diesem Grund jagte ich Vampire, um den zu töten, der mich gezeugt hatte. Mehr als alles andere wollte ich es für meine Mutter tun.
»Du...« So vieles schoss mir durch den Kopf, dass ich kaum sprechen konnte. »Du kannst mir helfen, ihn zu finden? Wie?«
Ein Schulterzucken. »Zunächst einmal kenne ich ihn vielleicht. Ich kenne wirklich eine ganze Menge Untote. Mach dir nichts vor... ohne mich suchst du nach einer Nadel in einem Haufen Reißzähne. Selbst ohne ihn persönlich zu kennen, weiß ich bereits mehr über ihn als du.«
»Was? Wie? Was?«
Mit erhobener Hand unterbrach er mein Gestammel. »Wie alt er ist, beispielsweise. Du bist einundzwanzig, richtig?«
»Zweiundzwanzig«, flüsterte ich, noch immer ganz verwirrt. »Letzten Monat geworden.«
»Ach ja? Dann ist in deinem gefälschten Führerschein nicht nur eine falsche Adresse, sondern auch ein falsches Geburtsdatum angegeben.«
Er musste mein Portemonnaie durchwühlt haben. Na ja, das ergab Sinn, er hatte mich ja auch ausgezogen, als ich bewusstlos gewesen war.
»Woher willst du wissen, dass er gefälscht ist?«
»Hatten wir das nicht gerade geklärt? Ich kenne deine richtige Adresse, und das ist nicht die in dem Ausweis.«
O Mist. Damit hatten meine gefälschten Papiere ihren Zweck verloren. Ich hatte sie mir eigentlich für den Fall zugelegt, dass ich einmal gegen einen Vampir verlieren sollte und der meine Sachen durchwühlte. Ich hatte verhindern wollen, dass er meine Familie aufspürte. So war das zumindest geplant gewesen. Dumm wie ich war, hatte ich nicht damit gerechnet, dass mir ein Vampir nach Hause folgen könnte.
»Wo ich so darüber nachdenke, Schatz, bist du eine Lügnerin, Besitzerin gefälschter Dokumente und Mörderin.«
»Ja und?«, zischte ich.
»Und außerdem eine Verführerin«, fuhr er fort, als hätte ich nie etwas gesagt. »Und du hast ein ganz schön loses Mundwerk. Ja, wir beiden werden uns blendend verstehen.«
»Schmonzes«, sagte ich lakonisch.
Er grinste mich an. »Nachahmung ist die aufrichtigste Form der Anerkennung. Aber zurück zum Thema. Du sagst, deine Mutter hat dich, wie lange, vier Monate ausgetragen? Fünf?«
»Fünf. Warum?« Was er daraus schlussfolgern würde, interessierte mich brennend.
Was hatte das damit zu tun, wie alt oder untot mein Vater war?
Er beugte sich vor. »Sieh mal, die Sache ist die. Wird man zum Vampir, setzen manche menschlichen Körperfunktionen erst nach ein paar Tagen ganz aus. Oh, das Herz hört sofort auf zu schlagen, man atmet auch nicht mehr, doch bei anderen Funktionen dauert es länger. So ungefähr am ersten Tag arbeiten die Tränendrüsen noch ganz normal, bevor die Tränen sich aufgrund der Blut-Wasser-Verteilung im Körper rosa verfärben. Man muss vielleicht auch noch ein-, zweimal pinkeln, bis der Körper keinen Urin mehr produziert. Aber was ich damit sagen will, ist, dass er ja offenbar immer noch Schwimmer im Sack hatte.«
»Wie bitte?«
»Du weißt schon, Süße, Sperma, wenn dir der Terminus technicus lieber ist. Seine Spermien waren noch lebensfähig. Das war allerdings nur möglich, wenn er gerade erst zum Vampir geworden ist. Maximal eine Woche danach. So lässt sich
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