Blutrote Kuesse
ich es gekonnt, wäre ich wohl anders behandelt worden.« Verdammt, ich begann schon wieder, ihm mein Innerstes zu offenbaren.
»Wie dem auch sei«, fuhr ich fort, »ich weiß, dass ich stärker bin als ein gewöhnlicher Mensch. Mit vierzehn habe ich drei Jungs verprügelt, und die waren alle größer als ich. Zu der Zeit konnte ich allmählich die Tatsache nicht mehr ignorieren, dass mit mir etwas ganz und gar nicht stimmte. Du hast meine Augen gesehen. Sie sind ungewöhnlich. Bin ich aufgebracht, muss ich aufpassen, dass sie nicht vor anderen zu leuchten anfangen. Meine Zähne sind wohl normal. Zumindest sind sie nie irgendwie länger geworden.«
Durch meine Wimpern hindurch warf ich ihm einen Blick zu. Ich hatte noch nie so offen über meine Besonderheiten gesprochen, nicht mal mit meiner Mutter. Für sie war es schlimm genug, über sie Bescheid zu wissen, darüber reden mochte sie nicht.
»Also noch mal. Du sagst, mit vierzehn ist dir deine Besonderheit wirklich bewusst geworden. Vorher hast du nicht gewusst, was du bist? Was hat dir deine Mutter über deinen Vater erzählt, als du klein warst?«
Das war ein äußerst schmerzliches Thema, und ich spürte, wie ich bei der Erinnerung daran schauderte. Ich hätte nicht gedacht, dass ich ausgerechnet einmal mit einem Vampir darüber reden würde.
»Sie hat meinen Vater nie erwähnt. Wenn ich sie gefragt habe, hat sie das Thema gewechselt oder wurde wütend. Aber die anderen Kinder waren weniger zurückhaltend. Sie nannten mich einen Bastard, kaum dass sie sprechen konnten.« Kurz schloss ich die Augen, die Scham brannte noch immer. »Wie gesagt, als ich in die Pubertät kam, nahm das Gefühl, anders zu sein, sogar noch zu. Es war noch viel schlimmer als in meiner Kindheit. Mir fiel es immer schwerer, meiner Mutter zu gehorchen und mein Anderssein zu verbergen. Am liebsten war mir die Nacht. Stundenlang bin ich durch die Kirschplantage gewandert. Manchmal bin ich erst im Morgengrauen zu Bett gegangen. Aber erst als diese Jungs mich in die Enge getrieben haben, ist mir klar geworden, wie schlimm es wirklich um mich stand.«
»Was haben sie gemacht?« Seine Stimme war weicher geworden, fast sanft.
Vor meinem inneren Auge sah ich ihre Gesichter so deutlich, als stünden sie vor mir.
»Sie haben mich wieder herumgeschubst. Mich gestoßen, beschimpft, das Übliche eben. Das war es nicht, was mich auf die Palme gebracht hat. Das kam fast jeden Tag vor. Aber dann hat einer von ihnen, wer es war, weiß ich nicht mehr, meine Mutter als Schlampe bezeichnet, und da bin ich ausgerastet. Ich habe ihm einen Stein an den Kopf geworfen und ihm so die Zähne ausgeschlagen. Die anderen haben sich auf mich gestürzt, aber ich war stärker. Sie haben nie jemandem davon erzählt. An meinem sechzehnten Geburtstag schließlich fand meine Mutter, ich sei alt genug, um die Wahrheit über meinen Vater zu erfahren. Ich wollte ihr nicht glauben, doch tief drinnen wusste ich, dass es stimmte. In dieser Nacht sah ich meine Augen zum ersten Mal leuchten. Sie hat mir einen Spiegel vors Gesicht gehalten und mir ein Messer ins Bein gestoßen. Sie hat es nicht böse gemeint. Sie wollte, dass ich außer mir war, damit ich meine Augen sehen konnte. Etwa sechs Monate später habe ich meinen ersten Vampir umgebracht.«
Unvergossene Tränen brannten mir in den Augen, aber weinen würde ich nicht. Konnte es nicht, nicht vor dieser Kreatur, die mich dazu gebracht hatte zu erzählen, was ich hatte vergessen wollen.
Er sah mich sehr sonderbar an. Hätte ich es nicht besser gewusst, hätte ich gesagt, sein Blick zeugte von Einfühlungsvermögen. Aber das war unmöglich. Er war ein Vampir, Vampire empfanden kein Mitleid.
Abrupt stand ich auf. »Wo wir gerade von meiner Mutter sprechen. Ich muss sie anrufen. Ich bin schon oft spät nach Hause gekommen, aber so lange war ich noch nie weg. Sie wird glauben, einer von euch Blutsaugern hätte mich umgebracht.«
Er zog die Augenbrauen hoch. »Deine Mutter weiß, dass du Vampire köderst, indem du ihnen Sex in Aussicht stellst und ihnen dann das Licht auspustest? Und das erlaubt sie dir? Kreuzdonnerwetter, ich dachte, du machst Witze, als du mir gesagt hast, sie weiß, dass du unsere Population dezimierst. Wärst du meine Tochter, hättest du nachts Stubenarrest. Versteh einer die Menschen von heute, die lassen ihren Kindern wirklich alles durchgehen.«
»Sprich nicht so von ihr!«, brauste ich auf. »Sie weiß, dass ich das Richtige tue! Warum sollte sie
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